“Wenn ich frühmorgens vor ihr wach bin, mache ich Frühstück. Sie kommt die Treppe runter, ich helfe ihr die letzten Stufen, wir geben uns ein Küsschen.” Christian und Ursula sind seit 55 Jahren verheiratet. “Da gibt es gute und schwere Zeiten. Aber die Freude dringt immer wieder durch”, betont Ursula. Wie so eine lange Beziehung gelingt? “Mit Gottes Hilfe”, sind sich beide einig. Und jungen Paaren raten sie: sich Herausforderungen immer neu stellen und gemeinsam Schönes unternehmen.
“Zum Beispiel zusammen Tanzen gehen oder einen Urlaub planen – also ein gemeinsames Ziel haben, auf das man sich freut”, sagt die 80-Jährige. Und ihr 85-jähriger Ehemann ergänzt: “Wir spielen zusammen Akkordeon”. Wer weiß, ob die beiden, die ihren Nachnamen nicht veröffentlicht sehen möchten, ohne ihr Akkordeonspiel überhaupt ein Paar wären. Im März 1968 haben sie sich in Kassel kennengelernt. Beide waren mit Freunden unterwegs. In der traditionell evangelischen Region hörte Ursula, dass Christian katholisch ist und Akkordeon spielt. “Ich war platt”, sagt sie. Und erwiderte damals: “Ich auch!”
Bereits im Juli desselben Jahres heirateten die beiden. “Ich fand ihn umwerfend gut”, erzählt Ursula. “Wir hatten beide einen Beruf – auf was sollten wir warten.” Richtig kennengelernt haben sie sich dann erst in der Ehe. “Wir hatten oft noch Konflikte”, so der pensionierte Lehrer. Ursula nickt: “Wir haben uns fast gefetzt am Anfang, weil du ganz andere Ansichten hattest. Aber die Gemeinsamkeiten haben überwogen. Und dann kriegt man ein Kind, das bringt eine ganz neue Verantwortung.”
Die Ehe bleibt ein Prozess
Nachwuchs, Umzüge, berufliche Aufs und Abs – all das kennen Ursula und Christian genauso wie viele andere langjährige Paare. Sechs von ihnen besuchen in einem Tagungshaus in Winterberg ein Seminar für Goldjubelpaare – mit Blick auf die Berge des Sauerlands. Das Angebot will Raum geben für Erinnerung und Dank, aber auch auf das schauen, was kommt oder bisher unerfüllt geblieben ist.
“Im Reflektieren des Vergangenen liegt ja oft auch ein Anstoß für Veränderungen nach vorne”, sagt Kursleiterin Maria Theresia Schneiders. Und sie warnt gemeinsam mit Co-Seminarleiter Ansgar Nowak vor starren Altersbildern. Auch wenn Leute 50 Jahre verheiratet seien, wollten sie weiterhin etwas vom Leben. Ehebilder seien nie zu Ende, sondern ein Prozess, weiß Nowak. Sein Eindruck vom Kurs: “Die Paare kommen nicht, wie oft bei anderen Paarseminaren, aus einer Not heraus. Aber sie kommen mit vielen Fragen.” – “Und Befürchtungen”, ergänzt Schneiders. Den Teilnehmenden tue es gut, in der Gruppe wahrzunehmen, dass andere Paare die gleichen Gedanken und Sorgen hätten wie sie.
Liebe im Wandel der Zeit
Die beiden Theologen haben bereits viele Kurse für Paare angeboten. Die jahrzehntelang Verheirateten sind für sie etwas Besonderes. “Diese nachkriegsgeprägten Paare haben Ehen mit dem Verständnis geschlossen, dass man auf jeden Fall zusammen bleibt, dass man unter keinen Umständen geht”, so Schneiders. Außerdem seien die Paare problemgewöhnter. Sie wüssten, dass es im Leben Sonne wie auch Schatten gibt und könnten auch damit umgehen. Jüngere Paare hingegen hätten oft den Anspruch, die Beziehung müsse immer perfekt laufen. “Es geht aber in einer Ehe nicht ums Optimieren, sondern um die Liebe.”
Ursula sieht ihre Liebe im Wandel. “Die Verliebtheit war enorm, deshalb haben wir auch schnell geheiratet”, sagt sie. “Die hört im Laufe der Zeit auf. Dafür reift die Liebe zu vollem Vertrauen, zur Freude über die wachsende Familie und zum Bewältigen gemeinsamer Aufgaben.” Vier Töchter und sieben Enkelkinder hat das Paar.
Das Zögern vieler jüngerer Menschen beim Thema Ehe können Ursula und Christian oft nicht verstehen. “Ich finde es natürlich gut, dass man sich heute erst eine Zeit lang kennenlernt, bevor man sich bindet”, sagt Christian. “Das hat viele Vorteile”, ergänzt seine Frau. “Aber wenn zwei sich lieben, dann sollten sie auch sagen: wir wollen”, meint Christian. Den Partnern und auch gemeinsamen Kindern gebe das Sicherheit. “Manche sehen die Ehe als Fessel, aber für uns ist sie ein Versprechen und der Glaube, dass wir es schaffen.”