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Wie im Himmel

Stefan Schuck, Kirchenmusiker und Chorleiter des Ensembles „sirventesberlin“, hat 2008 den „NoonSong“ nach Berlin-Wilmersdorf gebracht.Der „Noonsong“ aus Berlin-Wilmersdorf bekommt das Bundesverdienstkreuz verliehen. Zu diesem Anlass veröffentlichen wir den „die Kirche“-Artikel von Ulrike Mattern, den sie im vergangenen November über das zehnjährige „Noonsong“-Jubiläum schrieb, nun in voller Länge.

Im November feierte der „NoonSong“ zehnjähriges Jubiläum. Das Vokalensemble „sirventesberlin“ erfreutjeden Samstag um 12 Uhr Besucherinnen und Besucher der Berliner Kirche Am Hohenzollernplatz

Von Ulrike Mattern

Mit den letzten Glockenschlägen schlüpfe ich durch das weit geöffnete Portal der evangelischen Kirche Am Hohenzollernplatz. Gerade noch rechtzeitig. Die Orgel ertönt. Eine der freundlichen, rot gewandeten Damen hinter den Glastüren am Eingang drückt mir das Programmheftchen zum heutigen „NoonSong“ in die Hand. Ein bisschen außer Atem sehe ich mich um. Und bin baff: Die Bänke im lichtdurchfluteten Kirchenschiff sind lückenlos gefüllt. Schnell suche ich mir einen der wenigen freien Plätze. Kurze Zeit später ziehen im roten Talar drei Sängerinnen und fünf Sänger sowie Dirigent Stefan Schuck und Liturg Pfarrer Sebastian Stork im schwarzen Gewand in die Kirche ein. Ihre feierlich-freudige Formation im blaugekachelten Altarraum besitzt emotionale Kraft, bevor ein Bibelwort oder die heutige Motette „Singet dem Herrn“ von Johann Sebastian Bach erklingt.

Ein Format mit langer TraditionDer katholische Kirchenmusiker und langjährige Chorleiter Stefan Schuck brachte diesen musikalischen Gottesdienst vor zehn Jahren nach Berlin-Wilmersdorf. Historisch betrachtet sei dieses „eigenständige Format“ nichts Neues. Das gesungene Bibelwort, erzählt Schuck, habe eine lange kirchliche Tradition: „Zu Luthers Zeiten bestanden die täglichen Gottesdienste aus Musik.“ Die Komponisten seien damals umfassend theologisch gebildet gewesen. Mittels Psalmengesang entfaltete sich eine stimmungsvolle Dramaturgie im Rhythmus des Kirchenjahrs. Auch ihn bereicherten heute die Beschäftigung und das wöchentliche Leben mit den Psalmen, sagt der Dirigent, der 2003 das Vokalensemble „sirventesberlin“ mit professionellen Musikerinnen und Musikern gründete. 32 Sängerinnen und Sänger gehören zum festen Stamm. Eine weitere Inspiration waren die „Choral Evensongs“ der Anglikanischen Kirche. Diese Form des Stundengebets, ähnlich der Vesper oder dem Komplet in Klöstern, entstand in England und Irland im 16. Jahrhundert. Noch immer wird es etwa an englischen Colleges in Cambridge und Oxford gepflegt. „Hier stehen die Leute jeden Sonntag Schlange, um das zu hören“, sagt Schuck. Das 45-minütige „Abendlob“ beschließt den Tag und markiert, im Vertrauen auf Gott, den Übergang zur Nacht. Inzwischen haben sich die traditionellen „Evensongs“ aus ihrem Korsett geschält und werden – wie beim „NoonSong“ in Wilmersdorf – auch zu anderen Tageszeiten angestimmt.

30 Minuten abschalten und den Alltag vergessenDer „NoonSoong“ dauert rund 30 Minuten, inklusive Schriftlesung, Chormusik und Gemeindegesang – Gottesdienst kompakt. So viel Zeit für einen meditativen Moment bringt jeder auf, ohne sein Smartphone zu checken. Besucherinnen und Besucher können sich auf die wunderschönen, von dem Berliner Maler Achim Freyer Anfang der 1990er Jahre gestalteten Kirchenfenster und dessen Kunstausstellung („Licht aus Farbe“, bis 27. Januar 2019) konzentrieren. Oder sie hören einfach nur zu und lassen sich von der klassischen Chormusik gedanklich davontragen. An diesem Samstag zählen die Veranstalter 242 Gäste. An Weihnachten sind es schon mal bis zu 500. Sollten wir in vielen Gemeinden „NoonSongs“ schaffen, damit die Kirchenbänke in Zukunft wieder gut besetzt sind? Stefan Schuck lacht. „Gottesdienste, die mehr auf die Predigt durch die Musik und auf das gesungene Bibelwort vertrauen und die weniger belehren, sind bestimmt auch anderswo erfolgreich.“ Den Erfolg dieses Konzert- und Gottesdienstformats führt er auch darauf zurück, dass es unkompliziert in den Alltag integriert werden könne. „Die Leute sind unterwegs auf dem Markt und kommen mit ihren Tüten in die Kirche. Es gibt genügend Parkplätze, und die U-Bahn-Haltestelle ist direkt vor der Tür“, sagt er. Im Anschluss an den „NoonSong“ gibt es die Gelegenheit zum Austausch und gemütlichen Beisammensein. Die Hoffnungstaler Stiftung Lobetal übernimmt die Verköstigung mit Suppe und Kuchen zum kleinen Preis.

„NoonSong“Jeden Samstag um 12 Uhr. Eintritt frei, Spende erbetenKirche Am HohenzollernplatzNassauische Straße 66Berlin-Wilmersdorfwww.noonsong.de

Den aktuellen „Noon-Song“ gibt es auch jeweils eine Woche lang zum Nachhören: www.noonsong.de/de/anhoeren