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Wie hat Jesus das gemeint?

Seit Jahrhunderten streiten die Kirchen über die Bedeutung des Abendmahls. In einem sind sie sich einig: Es ist ein zentraler Punkt des Gottesdienstes. Aber warum wird es dann in unseren Gemeinden so selten gefeiert?

Thomas Lohnes

In den meisten evangelischen Gemeinden wird extra darauf hingewiesen, wenn in einem Gottesdienst auch das Heilige Abendmahl gefeiert wird. Dabei gehört doch dieses Mahl eigentlich zu jedem Sonntagsgottesdienst. Und das nicht nur in der orthodoxen oder katholischen Kirche. Auch die lutherische Messe strebt in ihrem Ablauf der gemeinsamen Mahlfeier mit Brot und Wein am Altar als Höhepunkt der Feier am Tag des Herrn entgegen. Doch wer sich die Praxis anschaut, stellt schnell fest, dass in den meisten evangelischen Gemeinden im Normalfall nur einmal im Monat das Abendmahl gefeiert wird.

Das verdanken wir der Aufklärung im 18. Jahrhundert, die auch die evangelischen Kirchen erfasst hatte. Kirche war nun hauptsächlich „Kirche des Wortes“, Gottesdienst hieß vor allem Predigt. Das Abendmahl, jedenfalls in seiner lutherischen Deutung, erschien viel zu mystisch und zu mirakulös.

Zwar gab es immer mal wieder den Versuch, die Liturgie insgesamt und das Abendmahl im Besonderen aufzuwerten und als gleichwertig mit der Predigt zu schätzen. Aber noch bis in die 1980er Jahre hinein war der Gang zum Tisch des Herrn in lutherischen Gemeinden mit Scheu verbunden. Die Geschichte über einen frisch ordinierten Pfarrer, der beim ersten Einsetzen des Abendmahls seine Arme ausbreitete mit dem Satz „Kommt, denn es ist alles bereit“ – und niemand kam, verdeutlicht das. Nicht, dass die Kirche leer gewesen wäre. Aber „allzuviel von dieser Medizin ist ungesund“ – dieser Spruch ging unter älteren Gläubigen noch um.  Karfreitag und Buß- und Bettag zum Abendmahl zu gehen, das musste reichen.
Das Abendmahl als heilige Medizin – dieses Verständnis ist nicht so abwegig, wenn man ältere Gesangbuchlieder zum Thema durchblättert. Auch heute gibt es Gemeindeglieder, die sich die Hostie nicht in die Hände legen lassen, sondern direkt in den Mund. Und noch in den 60er Jahren war es üblich, vor dem Abendmahl eine kurze Pause einzulegen, in der mindestens ein Drittel der Gemeinde sich auf den Heimweg machte – sie brauchten diesmal diese Medizin nicht. Dafür aber wurde vor jedem Abendmahlsgottesdienst auch die Beichte angeboten.

Erst in den vergangenen Jahrzehnten hat das Abendmahl in den lutherischen (und unierten) Kirchen wieder einen breiteren Raum im Leben der Gemeinde eingenommen – vielleicht ja auch, weil die inneren und äußeren Hürden abgenommen haben. Bis auf wenige Ausnahmen wie am Buß- und Bettag ist die gemeinsame Beichte weithin aus dem Abendmahlsgottesdienst verbannt worden und wird auch nur in wenigen Gemeinden davor angeboten.

Für Kinder und auf Wunsch gibt es in vielen Gemeinden Saft statt Wein, die anstößigen Worte „Christi Leib für dich gegeben, Christi Blut für dich vergossen“ sind häufig den angeblich leichter verständlichen Worten „Brot des Lebens für dich“ und „Kelch des Heils für dich“ gewichen.

Und: Hatte nicht auch Jesus schon so gefeiert? Die theologischen Feinheiten werden mittlerweile von vielen Gläubigen als verschwurbelte Dogmatik längst verblichener mittelalterlicher Scholastiker betrachtet. So zum Beispiel die Transsubstantationslehre, die um die erste Jahrtausendwende diskutiert und dann zum Dogma in der römisch-katholischen Kirche erhoben wurde. Sie lehrt, dass unter den Einsetzungsworten des Priesters als Stellvertreter Christi dessen Opfer am Kreuz nachvollzogen wird und sich die Hostie und der Wein wirkend und daher wirklich in Christi Leib und Blut verwandeln. Darum der Tabernakel als sicherer Aufbewahrungsort für Fleisch und Blut Christi mit der ewigen Lampe.

Alles nur schwer verständliches Theologengedöns, das vom eigentlichen frohen Festmahl mit Jesus ablenkt? Wer so denkt, macht es sich zu einfach: Jesus selbst war es ja, der nach der Überlieferung der Evangelisten Markus, Matthäus und Lukas davon geredet hat, dass dieser Kelch der neue Bund mit Gott in seinem, Jesu Blut sei. Die Erinnerung im Abendmahl sollte eben nicht nur seinem Leben und Wirken gelten, sondern seinem Erlösungswerk am Kreuz. Darum war ja auch schon bald in den ersten Gemeinden nur zum Abendmahl geladen, der auch getauft war und fest dazugehörte.

Auch Martin Luther hielt daran fest, dass Christus „durch, mit und unter“ Brot und Wein geistlich wirklich anwesend sei – aber nur während des Vollzuges des Abendmahls, also als Symbol im tiefen, vielschichtigen Sinn. Für die reformierten Reformatoren wie Zwingli oder Calvin dagegen waren Hostie und Wein etwas, was auf Christus zeichenhaft hinweist; das Abendmahl wird als Erinnerungs- und Gemeinschaftsmahl gefeiert.

Die orthodoxen und altorientalischen Kirchen bekennen ebenso wie die Katholiken eine Verwandlung von Brot und Wein beim Kommunionsempfang in „kostbarer Leib und kostbares Blut unseres Herrn Jesu Christi“. Sie bestreiten allerdings, dass die Wandlung durch die Einsetzungsworte des Priesters geschieht. Doch letztlich kann keine kirchliche Lehrmeinung einem Christen die Überlegungen abnehmen, was denn für ihn das Abendmahl bedeutet.