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Wie geht das Gesundheitswesen mit Grenzverletzungen um?

In einer Arztpraxis fühlt man sich meist krank, besorgt oder beides. Wer dorthin kommt, ist besonders verletzlich. Wenn es dann zu einer unangemessenen, belastenden Situation kommt, gibt es Anlaufstellen.

Vor über zehn Jahren wurde die erste Ombudsstelle für Fälle von Missbrauch in ärztlichen Behandlungen eingerichtet; in Hessen. Weitere Ärztekammern sind dem Beispiel gefolgt. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) nennt wichtige Eckdaten.

Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung gibt es in Deutschland 188.000 Ärzte, Ärztinnen, Psychotherapeutinnen und -therapeuten. Sie praktizieren in 99.000 Praxen, in denen es jährlich 553 Millionen Behandlungsfälle gibt. Das heißt: Eine Milliarde mal kommt es pro Jahr zu einem Kontakt zwischen einem Patient bzw. einer Patientin und einem niedergelassenen Hausarzt bzw. einer niedergelassenen Fachärztin.

Für Beschwerden ist die jeweilige Landesärztekammer zuständig. Ihre Aufgabe ist es, Hinweisen auf Verstöße gegen Vorgaben der Berufsordnung nachzugehen. Der Patient muss hierfür sowohl seinen Namen als auch den der Ärztin, des Arztes nennen. Bei gravierenden Berufsrechtsverstößen kann dem Arzt die Approbation entzogen werden; dafür sind dann aber die Approbationsbehörden der Bundesländer zuständig.

Für Fälle von Missbrauch, sexualisierter Gewalt, Grenzverletzungen haben einige Landesärztekammern Ombudsstellen eingerichtet. Sie stellen ein niederschwelliges Angebot dar, ein Fall kann hier auch zunächst anonym besprochen werden.

Das lässt sich nicht eindeutig beantworten. Zwar gehen bei den Landesärztekammern jedes Jahr hunderte Beschwerden ein. Die Klagen reichen von langen Wartezeiten über eine unzureichende Aufklärung bis hin zu nicht korrekt ausgefertigten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Übergriffiges Verhalten oder gar Missbrauch werden nicht überall eigens erfasst, und wenn doch, handelt es sich nach Aussage der Kammern um seltene Fälle.

Die Ärztekammer Nordrhein beispielsweise spricht von rund 2.000 Beschwerden pro Jahr, darunter zehn, die einen Bezug zu einer mutmaßlichen sexuellen Belästigung oder Nötigung aufwiesen. Dazu kämen 20 bis 30 Beschwerden über verbale Anzüglichkeiten. Die Ärztekammer Berlin hat nach eigenen Angaben im Jahr 2023 rund 1.900 Beschwerden über berufsrechtliche Pflichtverletzungen bearbeitet. Bei 29 habe es sich um Beschwerden zu sexuellen Übergriffen gehandelt; das könnten verbale und/oder körperliche Übergriffe mit oder ohne sexuellen Bezug sein. Die Landesärztekammer Brandenburg gibt die Zahl der Grenzverletzungen im unteren zweistelligen Bereich bei insgesamt 500 Beschwerden an.

Auch in der psychotherapeutischen Behandlung finden immer wieder Grenzverletzungen statt. Eine unabhängige Beratung bietet hier der Ethikverein. Nach Schätzungen kommen auf jährlich rund zwei Millionen ambulante und stationäre psychotherapeutische Behandlungen mehr als 1.000 Fälle von sexuellem Missbrauch.

Missbrauch in einem Behandlungsverhältnis wird strafrechtlich geahndet – vorausgesetzt, Betroffene erstatten Anzeige. In Paragraf 174c Strafgesetzbuch heißt es: “Wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm wegen einer geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung einschließlich einer Suchtkrankheit oder wegen einer körperlichen Krankheit oder Behinderung zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut ist, unter Missbrauch des Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.”

Und weiter: “Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer Person, die ihm zur psychotherapeutischen Behandlung anvertraut ist, unter Missbrauch des Behandlungsverhältnisses vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt.”