Von Anja Goritzka
„Versucht euren Mittelpunkt zu finden. Die Grundhaltung eures Körpers beim Singen ist wie ein Schilfrohr, das sachte im Wind wiegt“, sagt Bernd Ebener. Er ist Kantor und Organisator dieses Seminars zum Thema Gregorianik. Die Kursteilnehmer überprüfen noch einmal ihre Körperhaltung, lauschen in sich hinein. Die Atmosphäre ist konzentriert.
Körper- und Stimmlockerungsübungen stehen im Tagungshaus des Niederdeutschen Bibelzentrums in Barth gerade auf dem Programm. Die Stimmen werden für das gemeinsame Singen der gregorianischen Gebete mit den deutschen Luthertexten aufgewärmt. Denn das braucht Übung, wie Bernd Ebener findet.
Der Kantor, der lange Zeit in Lubmin bei Greifswald arbeitete, stieß während seines Studiums auf die Gregorianik. „Der Bereich wurde eher stiefmütterlich behandelt. Ich wollte aber mehr darüber erfahren“, erzählt er. Also nahm er einfach mal an Gregorianischen Tagen teil und war überrascht von der Vielfalt der Menschen: „Vom Teenager bis hoch zum Senior waren alle Altersstufen dabei.“ Auch das Meditative, das Gebet im Gesang, ließ ihn nicht mehr los, sagt er.
Pastor Alexander Beck aus dem baden-württembergischen Trichtigen im Landkreis Rottweil ist ähnlich fasziniert. „Erstmal ist es anders, als würde man sich in einem Kloster aufhalten. Bei Klostertagen kommt man doch eher als Außenstehender dazu. Bei den Kursen kennen wir uns oft schon“, meint er. „Und es treffen sich immer wieder irgendwie Gleichgesinnte, eine erfrischende Art von Gemeinschaft entsteht.“
„Am Ende ist man durchgebetet“
Die Strukturierung der Gregorianischen Tage im Bibelzentrum sorgt für Ruhe und Entspannung, findet Teilnehmerin Kathleen Hangwitz aus dem mecklenburgischen Waren: „Während der Tage kommt man zu einem anderen Level und am Ende ist man total durchgebetet.“
So stehen für die Teilnehmer nach dem Aufwärmen der Stimmen Singübungen an. Denn morgens nach dem sogenannten Matutin, also dem Nachtgebet, und nach dem Morgengebet, der Laudes, wird gemeinsam das Mittagsgebet geübt. Danach folgt das Studium. Diesmal ging es dabei vornehmlich um das Niederdeutsche Bibelzentrum. So erläuterte der Leiter des Zentrums Johannes Pilgrim, woher der Name St. Jürgen stammte: Seit 1350 befand sich auf dem Gelände vor den Toren der Stadt eine Siedlung für Leprakranke. Der Schutzheilige der Totkranken aber ist der Heilige Georg, der Drachentöter, und im Niederdeutschen wurde aus Georg Jürgen.
Später, bis zirka 1720, wurde das Haus als Hospital für Kranke genutzt. Die erste gedruckte Bibel in niederdeutscher Sprache fertigte man in Barth in der königlichen Druckerei in der Nähe des Schlosses, um 1588. Seit Oktober 2001 liegt eines dieser Exemplare im sanierten Haus St. Jürgen, und das ehemalige Hospital wurde als Niederdeutsches Bibelzentrum mit Dauerausstellung eröffnet.