Hohe Einsatzzahlen und fehlendes Personal – der Rettungsdienst hat ein Problem. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will ihn reformieren: So sollen etwa flächendeckend Tele-Notärzte zum Einsatz kommen sowie Gemeinde-Notfallsanitäter, die sich um Fälle unterhalb der Schwelle eines Notrufs kümmern sollen.
Aber aus den Bundesländern kommt Widerstand – vor allem aus Niedersachsen. Der Gesundheitsausschuss und der Ausschuss für Innere Angelegenheiten des Bundesrats wiesen Mitte September darauf hin, dass die Ausgestaltung des Rettungsdiensts den Ländern obliege. Der niedersächsische Landkreistag hat gemeinsam mit anderen Organisationen das Bündnis „Rettet den Rettungsdienst 2.0“ gegründet. Dessen Botschaft: Das Funktionieren des Rettungsdiensts sei durch die Pläne des Bundes bedroht.
Dabei sei der Rettungsdienst durchaus reformbedürftig, räumt der Geschäftsführer des niedersächsischen Landkreistags, Joachim Schwind, ein. Das Bündnis richte sich gegen von Lauterbach angekündigte Änderungsanträge an dessen Gesetzentwurf. Lauterbach wolle den Rettungsdienst ganz aus der Länderkompetenz herauslösen, sagt Schwind dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Einsatz von Tele-Notärzten oder Gemeinde-Notfallsanitätern sei ja richtig. Er wolle das nur nicht in einem Bundesgesetz sehen.
Das Bundesgesundheitsministerium dementiert, dass es Pläne gebe, den Rettungsdienst aus der Länderzuständigkeit zu lösen. „Die Planung und Organisation des Rettungsdienstes liegen in der Zuständigkeit der Länder“, teilt eine Sprecherin des BMG dem epd mit. „Hieran soll sich nach den Plänen des BMG nichts ändern.“
Die geplante Reform soll Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Bereichen des Gesundheitswesens angehen, die Probleme verstärken. So rufen Patienten häufig die Notrufnummer 112 an, wenn sie lange auf einen Besuch des Ärztlichen Bereitschaftsdiensts (ÄBD) warten müssen oder sie die ÄBD-Zentralen gar nicht erst telefonisch erreichen. Der ÄBD ist die Vertretung von Hausärzten nachts, am Wochenende und an Feiertagen. Die geplante Reform sieht vor, dass Notaufnahmen, ÄBD und Rettungsdienste nicht mehr nebeneinander her arbeiten, sondern kooperieren.
Bislang müssen Patienten nämlich wissen, welche Stelle die für ihr medizinisches Problem geeignete ist. Sie verfügen aber nur selten über dieses Wissen. Die Vernetzung von Rettungsleitstellen, Notaufnahmen und ÄBD nähme ihnen das ab.
Derzeit können Leitstellen auf Hilfeersuchen auch nur Rettungs- oder Krankenwagen entsenden. Sie werden aber häufig für Probleme angerufen, die nicht mit einem Transport ins Krankenhaus zu lösen sind. Beispielsweise werden manche Patienten erst durch einen schlechten Pflegezustand zu Notfällen, oder Atemprobleme verschlimmern sich bei ihnen, wenn sie zusätzlich zu bestimmten Krankheiten eine Erkältung bekommen. Beim Rettungsdienst heißen solche Fälle „Versorgungsprobleme“. Gemeinde-Notfallsanitäter sollen sich laut Reformentwurf um solche Fälle kümmern.
Inhaltlich stoßen Lauterbachs Vorschläge bei Fach-, Berufs- und Kassenverbänden überwiegend auf Zustimmung. Auch der Leiter des Studiengangs Rettungswissenschaften an der Hochschule Döpfer in Potsdam, Thomas Hofmann, kann kaum eines der Argumente der Länder nachvollziehen. So, wie die Länder bislang den Rettungsdienst aufgezogen hätten, sei er verbesserungsbedürftig, sagt Hofmann. Nicht nur die Einsatzzahlen pro Kopf schwankten im Bundesgebiet drastisch, sondern auch die Kosten für einen Rettungsdiensteinsatz – zwischen 660 und 1.530 Euro.
Laut einem Gutachten unter der Federführung des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Udo di Fabio, das im Auftrag der Björn Steiger Stiftung entstanden ist, könnte die Art, wie die Länder den Rettungsdienst derzeit ausgestalten, verfassungswidrig sein. Denn das Grundgesetz schreibe gleiches Geld für gleiche Leistungen vor.
Bei der ersten Lesung der Notfallreform im Bundestag war der Rettungsdienst herausgenommen. Im Wesentlichen soll vorerst nur die Vernetzung der Rettungsleitstellen mit ÄBD und Notaufnahmen umgesetzt werden. Fachverbände und Krankenkassen aber fordern eine Reform aus einem Guss.