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Wer sich kümmert, hat‘s schwerer

Helge Hohmann über Folgen der Asylgesetzgebung, ehrenamtliches Engagement und das Projekt „Engagiert in Vielfalt“

Flucht, Migration und Integration sind von Expertenthemen zu zentralen Themen der Gesellschaft geworden. Aber in Wahlkampfzeiten verschärft sich der Ton. Im Gespräch mit dem Studienleiter und Aussiedlerbeauftragten Edgar L. Born  von der Evangelischen Akademie Villigst nimmt der Zuwanderungsbeauftragte der Evangelischen Kirche von Westfalen, Pfarrer Helge Hohmann (Villigst), dazu Stellung.

Politik ist zurzeit im Wahlkampfmodus, geht das zulasten der Geflüchteten?
Mit Besorgnis und zum Teil Empörung nehme ich wahr, wie nicht nur in Zeiten des Wahlkampfes, sondern schon seit dem Erstarken des Rechtspopulismus auch von den etablierten Parteien Stimmung gegen Geflüchtete gemacht wird. Sie werden als Bedrohung, als potenzielle Betrüger, mindestens aber als angeblich nicht zu bewältigende Belastung dargestellt. Aus dem „Wir schaffen das!“ der Kanzlerin ist geworden: „Wie schaffen wir es, Flüchtlinge möglichst fernzuhalten oder so schnell wie möglich wieder loszuwerden?“.

Bei der Stimmungsmache ist es nicht geblieben…
Genau: Längst wurden durch Gesetze und Verordnungen Rahmenbedingungen und Strukturen geschaffen, die Geflüchtete entrechten und den Zugang zum Flüchtlingsschutz immer weiter einschränken. Gesetze wie das „Asylpaket II“ entfalten erst jetzt effektiv ihre Wirkung. Es ist viel schwieriger für die Zivilgesellschaft geworden, sich um Menschen zu kümmern, die durch das Raster fallen.

Welche Folgen hat es, dass die Familienzusammenführung für viele Geflüchtete ausgesetzt worden ist?
Es ist eine große Not bei vielen Familien, die hier bei uns Schutz und Perspektive gesucht haben. Vor Ort entsteht ein Ohnmachtsgefühl, hilflos mit ansehen zu müssen, wie Menschen um ihre Angehörigen in den Kriegsgebieten bangen. Das Recht auf Familie unseres Grundgesetzes wird durch die Gesetzeslage und durch die Verwaltungspraxis der Mehrheit der Geflüchteten verweigert.

Das unübersehbare Engage­ment von hunderttausenden Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsarbeit ist dagegen ein starkes politisches Signal für eine offene, plurale und tolerante Gesellschaft?!
Das freiwillige Engagement für den Schutz und die Beheimatung von Geflüchteten ist in der Tat das größte Hoffnungszeichen für unsere Gesellschaft. Es zeigt auch, dass die öffentlich wahrgenommenen spaltenden Diskussionen die Wirklichkeit nur verzerrt abbilden. Dennoch dürfen wir die Ehrenamtlichen nicht so ohne Weiteres für alle unsere Ideen als Kirche vereinnahmen. Wir müssen da genauer hinschauen: Wer engagiert sich wie und aus welchem Motiv heraus? Und inwiefern können wir damit rechnen, dass das Engagement stabil bleibt?
Wir sind froh, dass wir mit Fördermitteln des MAIS (= Ministerium für Arbeit, Integration und Sozia­les, Anmerkung der Redaktion) mit dem Projekt „Engagiert in Vielfalt“ dieses Engagement genauer untersuchen können. Und wir werden daraus Vorschläge entwickeln, wie das Ehrenamt zielgenauer befördert, geschult und begleitet werden kann. Schon jetzt ist sicher, dass es Gott sei Dank kein Strohfeuer ist, aber es braucht schon bessere Bedingungen, damit das Engagement stabil bleibt oder noch besser wächst.

Mit der Arbeitsgruppe Flucht, Migration, Integration (AG FMI) hat das Institut für Kirche und Ge­sellschaft (IKG) sich neu aufgestellt.
Ich freue mich, dass es möglich war, hier am IKG eine eigene Arbeitsgruppe einzurichten. Mit drei Pfarrern und zwei wissenschaftlichen Referentinnen des Projektes „Engagiert in Vielfalt“ können wir uns nun mit unterschiedlichen Schwerpunkten den inhaltlichen Herausforderungen stellen und die Arbeit vor Ort zielgenauer unterstützen. Angesichts der Vielfalt der Themen, die brennen, ist das auch dringend notwendig.