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Wenn Gott was anderes vorhat

Als Kind im Kindergarten hat Fabian Wecker beten gelernt – weil er nachts schlecht schlief. So wuchs er und mit ihm seine Familie in das Gemeindeleben in Lüdenscheid hinein. Eigentlich wollte er Musiker werden, arbeitet nun aber als Jugendreferent in Soest

DER? Der da mit den großen Löchern in den Ohren, den Piercings in den Augenbrauen, den vielen Tätowierungen auf Armen und Beinen und der Frisur wie die Elbenkrieger aus „Herr der Ringe“? DER soll mir was vom Glauben erzählen und mich für Gott begeistern? Geht’s noch?
Ja, es geht noch. Und zwar bestens, denn wenn der 27-jährige Fabian Wecker von seiner Begeisterung für Gott erzählt, dann macht er das mit soviel Empathie und Überzeugung, dass man schon nach wenigen Minuten sein Aussehen vollkommen ignoriert, weil man spürt: Hier lebt einer das, was er sagt.
Dass er oft auf sein auffälliges Aussehen reduziert wird, ist für den hauptamtlichen Mitarbeiter der Jugendkirche Soest nichts Ungewöhnliches: „Das bin ich gewohnt. Ich weiß, dass ich überall auffalle. Aber das macht nix und legt sich meist ziemlich schnell. Für echte Christen ist Anderssein ohnehin kein Problem.“
In der Jugendkirche ist es vielleicht sogar hilfreich, wenn man sich optisch von der Masse abhebt. Aber als alleiniges Programm taugt das nicht. „Jugendliche“, so Wecker, „sind nicht so oberflächlich, wie sie oft gerne dargestellt werden – vor allem Jugendliche nicht, die in der Kirche engagiert sind und sich mit Glaubensfragen auseinandersetzen“.
Sein eigener Einstieg in den Glauben war zwar schon sehr früh, aber zunächst eher pragmatischer Natur. Fabian Wecker, seine beiden Brüder und die Eltern waren so etwas wie „U-Boot-Christen“. Hin und wieder – zweimal im Jahr Familiengottesdienst und vielleicht noch zu Weihnachten und Ostern – tauchte die Familie in der Christusgemeinde in Lüdenscheid auf – und danach wieder unter. „Ich kann nicht behaupten, dass ich in den ersten Jahren in einem christlich geprägten Elternhaus groß geworden bin“, erinnert sich Wecker.
Doch das änderte sich. Weil er nachts immer schlecht schlief, hat ein Betreuer in dem christlichen Kindergarten, den er besucht hat, ihm vorgeschlagen, mit ihm zu beten. Wecker: „Von da an haben wir jeden Nachmittag gemeinsam gebetet. Und obwohl ich noch sehr klein war, habe ich gespürt, wie gut mir das tut, wenn ich mich mit meinen Problemen Gott anvertraue.“ Bereits nach wenigen Wochen hatten sich die Schlafstörungen deutlich gebessert.
Als seine Mutter vom täglichen Gebet im Kindergarten erfuhr, war sie zu Tränen gerührt: „Wir haben dann zu dritt gebetet und Gott gedankt.“ Nach und nach sind seine Eltern und seine Brüder in das Gemeindeleben gerutscht: Die Besuche der Kindergottesdienste wurden zum festen Ritual, ein Haus- und Glaubenskreis wurde gegründet.
Schließlich fuhr die komplette Familie regelmäßig bei den Gemeindefreizeiten mit. Die Mutter als Küchenleitung, der Vater konnte als Messebauer seine zahlreichen handwerklichen Talente an vielen Stellen einbringen. „Damit nahm das alles seinen Lauf“, schmunzelt Wecker. „Wir waren ständig mit megacoolen Leuten zusammen, die alle zu ihrem Glauben standen. Und als Familie hat uns das richtig zusammengeschweißt.“
Konfi-Unterricht, danach Konfi-Teamer, Mitarbeiterschulungen, Gemeindearbeit – Fabian war immer mittendrin statt nur dabei: „Ich war oft fasziniert von den Menschen und deren Wissen über die Bibel, über Gott und den Glauben.“
Dass er allerdings selbst einmal „für und mit Kirche“ arbeiten würden, war in seiner Biographie so nicht vorgesehen. Bereits in jungen Jahren hatte er Tuba spielen gelernt. Die Experten bescheinigten ihm ein außergewöhnliches Talent. Wecker: „Eigentlich wollte ich Berufsmusiker werden. Alle Lehrer, die mich begleitet und gefördert haben, haben mich darin unterstützt.“
Tag um Tag, Stunde um Stunde hat Wecker geübt. Manchmal von morgens bis abends: „Ich wollte möglichst perfekt spielen.“ Nach dem Abitur 2010 sollte die Musikerkarriere mit dem Studium so richtig Fahrt aufnehmen. Alles schien vorprogrammiert. Alles schien perfekt.
Doch ganz langsam schlichen sich die Zweifel ein; erst ganz zart, dann immer mehr. Einen Tag vor der Aufnahmeprüfung an der berühmten Essener Folkwang-Schule wurden diese Zweifel so groß, dass Fabian spürte, dass dieser Weg nicht der richtige sein würde: „Erst habe ich den inneren Kampf mit mir allein, dann mit Gott geführt. Ich habe gespürt, dass Gott nicht möchte, dass ich Musik studiere. Ich habe gespürt, dass Gott etwas anderes mit mir vorhat.“
Als er das seinen Eltern mitteilt, reagieren die überraschend nüchtern und sachlich. „Vierundzwanzig Stunden haben sie mir Zeit gegeben, einen Plan B vorzulegen.“ Der war relativ schnell gefunden. In der Kirchengemeinde gab es zufällig einen freien Praktikumsplatz. „Ich habe mich gegen eine Karriere als Musiker und bewusst dafür entschieden, mein Leben mit Gott zu leben. Von dem Moment an war das wie eine Befreiung.“
Nach dem Praktikum folgte das Studium „Soziale Arbeit und Gemeindepädagogik“ in Kassel. Das war auch die Zeit der ersten Tätowierung. „Ich hatte mir schon länger überlegt, mir ein Tattoo stechen zu lassen, mich aber irgendwie noch nicht so recht getraut.“
Und wie so oft sind es die Zufälle im Leben, die den Weg weisen: Eine Presbyterin der Lüdenscheider Gemeinde hat ein Tattoostudio und ihn ermuntert, seinen Plan umzusetzen: Wecker: „Mein Konfirmationsspruch ist mein erstes Tattoo.“ Psalm 73: „Ich aber darf Dir immer nahe sein, mein Herr und Gott. Das ist mein ganzes Glück. Dir vertraue ich. Deine wunderbaren Taten will ich weitererzählen.“
Seitdem sind zahlreiche Tattoos hinzugekommen; die meisten haben einen christlichen Hintergrund. Andere sind Motive, die mit seinem Hobby zu tun haben: Fabian Wecker macht bei „Live Action Role Playing“ (LARP) mit. Dabei schlüpft man in die Rolle von Figuren vorzugsweise aus dem Mittelalter und nimmt an Fantasy-Rollenspielen teil.
„Ich mag es gerne bunt und abwechslungsreich“, erklärt der Jugendreferent, der seit September 2016 in der Jugendkirche  Soest beschäftigt ist, und ist überzeugt: „Auch Glaubensarbeit darf manchmal laut und bunt sein – so wie das Leben. In meiner Arbeit möchte ich jemand sein, der bestehende Gefühle aufbricht, der einen Weg zu Gott weist, der vielleicht nicht immer der einfachste und bequemste ist; der aber immer zum Ziel führt.“
Wohin ihn das selber noch führen wird: „Keine Ahnung“, zuckt er mit den Achseln. „Gott wird schon wissen, was er mit mir plant.“ Einen konkreten Traum hat Fabian Wecker, der vor wenigen Wochen zum Diakon geweiht worden ist, allerdings: „Ich möchte gerne mit meinen beiden Brüdern eine christliche Jugend-Begegnungsstätte eröffnen. Das ist unser großer Traum. Und ich bin zuversichtlich, dass das klappen wird. Irgendwann.“