Wenn Frauen ohne Männer reden

„Ich habe gelernt, dass nichts einseitig und einfach ist. Es gibt die ganze Bandbreite an Begabungen, aber auch an kulturellen und individuellen Schranken. Wenn man die Sprache nicht kann, bleibt das alles unentdeckt und man kann sich nicht damit auseinandersetzen. Meine Erfahrung lautet: Wenn man den Menschen offen begegnet und ihnen die Chance gibt, sich zu entwickeln, macht man auch gute Erfahrungen. Das Leben ist viel bunter als Vorurteile.“
Anita Goy weiß, wovon sie spricht. Schon lange bevor 2005 das Zuwanderungsgesetz Sprach- und Integrationskurse für Neuzugewanderte vorsah und regelte, bot die Evangelische Erwachsenenbildung des Kirchenkreises Soest in Lippstadt Sprachkurse an. „Die richteten sich damals vor allem an Spätaussiedler“, erinnert sich die Leiterin der Erwachsenenbildung, die Ende Januar in den Ruhestand geht. Das Projekt „Sprachkurse“ geht aber auch unter der neuen Leiterin Maria Schubert weiter und wird sogar ausgeweitet.
Die Sprachkurse „Made im Kirchenkreis Soest“ unterscheiden sich von den herkömmlichen Angeboten: So wird beispielsweise Frauen eine angeschlossene Kinderbetreuung angeboten. Viele der Frauen sind Mütter – allein im letzten Lippstädter Kursus wurden in 20 Monaten sechs Kinder geboren. „Ich bewundere die Frauen, wie sie das schaffen. Aber der Wille ist sehr groß.“
Anita Goy erzählt von einer Teilnehmerin: Sie ist alleinerziehend, hat fünf Kinder und kommt dreimal die Woche mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Geseke nach Lippstadt. „Davor hat sie ihre Kinder versorgt und zur Schule gebracht, und sich mit dem Kinderwagen auf den Weg gemacht. Sie ist immer pünktlich. Da kann man nur den Hut vor ziehen.“
Kurse nur für Frauen sind keine übertriebene „Extrawurst“, sondern ein Freiraum fürs Lernen. Anita Goy erinnert an die 1970er Jahre in Deutschland, wo viele Frauen auch so einen Ort brauchten, um sich frei entwickeln zu können.

Das Leben ist bunter als alle Vorurteile

„Viele Frauen aus vor allem arabischen, aber auch afrikanischen Ländern, sprechen in Gegenwart von Männern wenig. In unseren Kursen legen sie dann aber so richtig los. Das ist immer ein reger Austausch, dass einem das Herz aufgeht.“ Da die 20 Teilnehmerinnen aus verschiedenen Nationen kommen, ist Deutsch die gemeinsame Sprache. Ob jemand Kopftuch trägt, oder nicht, ist nicht wichtig. Pünktlich müssen die Teilnehmerinnen sein und sich an weitere Regeln halten.
Übrigens: Die Kurse haben generell eine sehr hohe Erfolgsquote. Für viele ein Start in den Beruf, wie bei der Teilnehmerin, die eine Ausbildung als Einzelhandelskauffrau abgeschlossen hat. „Die Frauen werden selbstbewusster und Familien haben oft nichts dagegen, dass sie ihren Weg gehen“, räumt Anita Goy mit Vorurteilen auf. Und sie erzählt von einer Mitarbeiterin im Jobcenter, die sie wegen einer anderen Sache anrief und dann sagte: „Frau Goy, kennen Sie mich nicht mehr?“ Anita Goy war perplex, denn die ehemalige Teilnehmerin sprach fehlerfrei Deutsch und hat einen guten Job.
„Manche der Frauen haben eine gute Schulbildung. Alle bringen Talente mit. In unseren Kursen möchten wir das wertschätzen und sie ermutigen, sich zu entwickeln“, so Anita Goy. Die Frauen werden in alltagspraktischen Dingen wie Kindererziehung, Einkaufen, Schulsystem sicherer und sie fühlen sich anerkannt. „Sie sind auch in der Lage zu erzählen, wie sie manchmal von Deutschen behandelt werden und wir können ihnen klarmachen, dass das nicht die Regel ist.“ Das alles macht die gemeinsame Sprache möglich.
Natürlich bietet die Evangelische Erwachsenenbildung viele andere Kurse – von religiöser Bildung über berufliche Bildung, Bildungsurlaub und Qualifizierung von Ehrenamtlichen, bis hin zu einer engen Zusammenarbeit mit Berufsschulen – aber das Thema Integration, Flüchtlinge und die kippende Stimmung in Deutschland lassen Anita Goy nicht los: „Wenn ich jetzt weitermachen würde, würde ich mir Gedanken um Angebote machen, wie wir Multiplikatoren dazu befähigen können, den plumpen Ansichten mancher entgegenzutreten und zu informieren.“