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Wenn die Töne fehlen

Ostern konnte Komponisten bislang kaum faszinieren. Auch ihnen fällt es zu allen Zeiten schwer, das mit dem Verstand schwer zu erfassende Ostergeschehen auszudrücken. Dafür gibt es mehrere Gründe

Krasser könnte der Gegensatz nicht sein: Die Liturgie feiert Ostern mit allen ihr zur Verfügung stehenden Symbolen und Farben. In der abendländischen Musiktradition dagegen spielt das Fest aller Feste eine untergeordnete Rolle. Wie ist dies zu erklären, wo sich doch am Bekenntnis zur Auferstehung Jesu Christi alles entscheidet? Ostern ist und bleibt der Testfall des christlichen Glaubens.
Drei Gründe sind zu nennen, die diese Schieflage erklären. Da ist zunächst einmal die abstrakte Botschaft von Ostern. Im Gegensatz zu den Passionserzählungen bleibt sie unsinnlich, den Erfahrungen der Menschen entzogen. Mit dem leidenden Jesus kann ich mich solidarisieren. Vor dem Bild des in den Himmel auffahrenden Jesus stehe ich dagegen bestenfalls staunend und hoffend. Aufgeklärter Verstand und freier Wille müssen opponieren.
Ein Blick in die Kunstgeschichte bestätigt dies. So grandios die Darstellung des Auferstandenen auf dem Isenheimer Altar ist, so fragwürdig bleibt sie unter theologischen Aspekten.
Überraschen muss das nicht. Geben doch schon die Auferstehungsberichte alles andere als ein einheitliches Bild. Es will nicht gelingen, sie zu vereinheitlichen. Den Verfassern ist wichtig, aufzuzeigen, dass der Weg zum österlichen Glauben ein mühsamer ist (siehe dazu die Geschichte über die Emmaus-Jünger, Lukas 24, 13-35).

Gregorianische Gesänge zu Ostern eher Sprechgesang

Genau von diesen Erfahrungen wollen die alten gregorianischen Ostergesänge künden. Der Einzugsgesang der Ostermesse „Resurrexi“ („Ich bin auferstanden“, Verse aus Psalm 139, christologisch interpretiert) ist an Zurückhaltung kaum zu überbieten. Er wählt eine äußerst zurückhaltende Tonart und verzichtet auf große, expressive Intervalle. Viele Töne werden auf derselben Stufe wiederholt. Damit wird dieser Gesang eher zu einem Sprechgesang: Es ist ein intimer Dialog zwischen dem Auferstandenen und seinem Vater. Erst im Halleluja und in der Sequenz bricht der Osterjubel langsam durch.
Ein zweiter Grund für eine fehlende Vertonung des Ostergeschehens: Der Glaube an die Auferstehung des Jesus von Nazareth bleibt eine Herausforderung – für jede Zeit neu. Dies schlägt sich natürlich auch in den Werken von Künstlern nieder. Ein Beispiel ist das Credo aus der Es-Dur Messe von Franz Schubert, die er wenige Monate vor seinem Tod (1828) komponiert hatte. Während der Glaubenssatz von der Menschwerdung und vom Tod Jesu ergreifend und dramatisch geschildert wird, erscheint das Bekenntnis zur Auferstehung distanziert, unpersönlich.
Dass Schubert mit diesem Glaubensartikel Probleme hatte, ist belegt. Ähnliche Beobachtungen lassen sich bei vielen anderen Komponisten vor allem des 18. und 19. Jahrhunderts machen. Damit werden auch sie zu Zeitzeugen eines zentralen Glaubensdefizits.
Damit ist ein dritter Grund für die beobachtete Diskrepanz angesprochen: die Nachfrage. Christen, die Ostern nicht als das Hochfest feiern, erwarten auch keine repräsentative Ostermusik. Bei Johann Sebastian Bach ist schon immer aufgefallen, dass er nicht annähernd so bedeutende Ostermusiken geschrieben hat wie im Passionsbereich.
Die Erklärung ist einfach. In den evangelischen Kirchen wurde und wird der Karfreitag als höchster Festtag gefeiert. Besonders festliche Ostermusik war deshalb nicht gefragt. Es gibt zwar ein Osteroratorium und einige Osterkantaten. Doch ihre Qualität reicht nicht an die der großen Passionen heran.

Neue Anläufe im 20. und
21. Jahrhundert

Ostermusiken hatten im Mittelalter und in der Renaissance ihre große Zeit. Sie waren zunächst Teil der offiziellen Liturgie, verselbstständigten sich aber später zu eigenen Osterspielen in den Kathedralen, Pfarreien und Klöstern. Sie waren expressiv, dramatisch und sinnenfällig, vom Volk heißgeliebt.
Im 18. und 19. Jahrhundert hat es dann noch vereinzelt Ostermusiken gegeben; durchgesetzt haben sie sich aber nicht. Ihr Thema „Auferstehung“ passte nicht in die gesellschaftlich-kirchliche Landschaft. Zudem fiel ihre Qualität gegenüber ihren übrigen Werken oft ab.
Einige Komponisten haben sich dennoch dem Ostergeschehen genähert. So Franz Liszt in seinem Oratorium „Christus“, in Fortführung von Händels „Messias“, dessen zweiter Teil die Überschrift „Passion und Auferstehung“ trägt. Auch der Franzose Cesar Franck wollte mit seinem Oratorium „Redemption“ (1870/71) gegen den Geist seiner Zeit Stellung beziehen.
Im 20./21. Jahrhundert hat es neue Anläufe gegeben: Max Baumann, Oratorium „Auferstehung“ (1980), Krysztof Penderecki, Utrenja I und II (1969-1971). Beide Werke fanden keine größere Akzeptanz. Viel beachtet wurde „Johannes-Ostern“ (2002) von Sofia Gubaidulina, der 2. Teil des Diptychons über Tod und Auferstehung.
Auferstehungsmusik bleibt eine Herausforderung. Ein international bekannter, gläubiger Komponist wurde um eine Ostermusik gebeten. Seine Antwort: „Ich möchte gerne eine solche Musik schreiben. Aber mir will dies nicht gelingen.“