Die Weimarer vermögen es, groß zu denken. Die Bauten des Klassischen Weimars – seit dem 2. Dezember 1998 sind sie Weltkulturerbe – zeugen davon. Denn am Anfang stand die Kraft der Gedanken zweier junger Männer. Der erst 18-jährige Großherzog Carl August (1757-1828) und der acht Jahre ältere Johann Wolfgang Goethe (1749-1832) zogen ein Jahr nach dem großen Weimarer Schlossbrand von 1774 durch die damals noch landwirtschaftlich genutzte Auenlandschaft entlang der Ilm und überlegten, wie es hier weitergehen könne. So beschreibt die Präsidentin der Stiftung Weimarer Klassik, Ulrike Lorenz, schlaglichtartig die Geburtsumstände dieser Geistesepoche.
Weimar sei durch die Flammen seines Machtzentrums beraubt worden, der Hof habe sich in die Sommerresidenzen zurückgezogen. Die Adel lebte in der Stadt und die großherzogliche Familie habe das Fürstenhaus bezogen. Carl August und Goethe entwarfen also bei ihren Spaziergängen an der Ilm ihr Ideal einer von der Gedankenwelt des Humanismus, der Aufklärung und Harmonie geprägten Gesellschaft. Etwas völlig Neues sollte entstehen, nicht nur architektonisch.
Und also dachten die Weimarer auch mehr als zwei Jahrhunderte später bei der Formulierung des Welterbe-Antrags groß: Nicht weniger als 36 Gebäude, Parks und Denkmäler sollten gemeinsam den Bestand des Klassischen Weimar repräsentieren und an die Zeit erinnern, als die Stadt im 18. und 19. Jahrhundert Zentrum des intellektuellen Lebens war.
„In dieser Zeit entstanden literarische Werke von außergewöhnlicher Bedeutung, geprägt von Weltoffenheit, universellem Bildungsanspruch und humanistischem Streben. Weimar wurde zu einem Brennpunkt europäischer Geistesströmungen“, heißt es auf der Seite der Deutschen Unesco-Kommission. Weimar zog Dichter und Gelehrte wie Schiller, Herder und Goethe an, der fast 50 Jahre in der Stadt lebte.
Neben den Dichterhäusern, der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, den Weimarer Schlössern und Parkanlagen fanden sich zunächst auch die Stadtpalais wichtiger adeliger Familien, aber auch das fernab gelegene großherzogliche Jagdhaus in Gabelbach bei Ilmenau oder das Inspektorenhaus des Botanischen Gartens in Jena auf der Vorschlagsliste des Welterbe-Antrags. Jede dieser Stätten war durch Personen oder Ereignisse mit der Weimarer Klassik verbunden.
Und doch wurden dem Antrag in dieser Form kaum Chancen auf Annahme zugestanden. Auf Anregung des Thüringer Kultusministeriums passte man die Liste den Vorgaben des Welterbekomitees an und reichte schließlich nur noch zwölf meist direkt in Weimar gelegene Klassikerstätten bei der Unesco ein.
Sechs Jahre später wurde der geänderte Vorschlag im japanischen Kyoto offiziell zum kulturellen Welterbe der Menschheit erklärt. Von manchem wird bis heute als Schönheitsfehler empfunden, dass ausgerechnet die Wirkungsstätten von Christoph Martin Wieland (1733-1813) nicht zum unmittelbaren Welterbe zählen. Sein Landgut in Oßmannstedt liegt wenige Kilometer jenseits der Stadtgrenzen.
Dabei gehört der Autor, Herausgeber, Philosoph und Pädagoge unzweifelhaft zum literarischen Kleeblatt, das die Weimarer Klassik bis heute definiert: Ihn holte Herzogin Anna Amalia als führenden Intellektuellen Deutschlands als Gesprächspartner für ihren Sohn an ihren Hof. Wieland wiederum holte Goethe in die Provinz. Schiller und Herder folgten. „Oßmannstedt mit in die Welterbeliste aufzunehmen, hätte aus meiner Sicht Sinn gemacht“, sagt der heutige Baukurator der Stiftung, Michael Enterlein.
Natürlich ist Oßmannstedt heute ein zentraler Bestandteil der Klassik Stiftung Weimar mit Museum, Akademie und Forschungsstelle. Für Präsidentin Ulrike Lorenz steht der Ort damit gleichrangig neben den Welterbestätten der anderen Literaten, Schiller- und Herderhaus sowie den Goethehäusern. Das Unesco-Welterbe, sagt Lorenz, sei für die Stiftung und ihr Engagement für den Tourismus zwar von großer Bedeutung, im Alltag der Pflege-, Bewahrungs- und Sanierungsleistungen der Baudirektion jedoch werde kein Unterschied zwischen Welterbe- und Denkmalstatus gemacht. Alle Immobilien seien als Denkmäler der Stiftung anvertraut und in Erhalt und Pflege ebenso wichtig wie die Denkmale auf der Welterbeliste.