Predigttext
27 Aber ich sage euch, die ihr zuhört: Liebt eure Feinde; tut wohl denen, die euch hassen; 28 segnet, die euch verfluchen; bittet für die, die euch beleidigen. 29 Und wer dich auf die eine Backe schlägt, dem biete die andere auch dar; und wer dir den Mantel nimmt, dem verweigere auch den Rock nicht. 30 Wer dich bittet, dem gib; und wer dir das Deine nimmt, von dem fordere es nicht zurück. 31 Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch! 32 Und wenn ihr liebt, die euch lieben, welchen Dank habt ihr davon? Denn auch die Sünder lieben, die ihnen Liebe erweisen. (…) 35 Vielmehr liebt eure Feinde und tut Gutes und leiht, ohne etwas dafür zu erhoffen. So wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Kinder des Höchsten sein; denn er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. 36 Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. 37 Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. 38 Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen.
Wie du mir, so ich dir. Oder: Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil. Diese Redensarten sind die Lebensarten vieler Menschen. Ein Schulleiter gab sogar bei einer Einschulungsfeier den sechsjährigen Mädchen und Jungen mit auf den Weg in die Schule: Wenn ihr zu den Lehrern nett seid, dann sind die Lehrer auch zu euch nett.
Ganz anders Jesus: Er will, dass die Menschen Liebe üben, auch und gerade dann, wenn ihnen nicht liebevoll begegnet wird. Seine „goldene Regel“ lautet: Verhaltet euch so, wie ihr es wünscht, dass sich andere euch gegenüber verhalten. Der Wunsch ist etwas anderes als die Wirklichkeit! Also nicht: Wie du mir, so ich dir.
Der Apostel Paulus hat das so ausgedrückt: Überwinde das Böse mit Gutem. Das geht uns gegen den Strich. Ist das nicht weltfremd, eine totale Überforderung?
Ein Beispiel dafür, dass ohne Gewalt und mit Kerzen in den Händen sogar Mauern fallen können, haben wir vor 30 Jahren erlebt. Die gewaltfreien Proteste vieler Menschen und die „Montagsgebete“ in den Kirchen haben dazu geführt, dass am Abend des 9. November 1989 die Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik geöffnet wurde. An dieser Bewegung war auch die Ökumenische Friedensdekade beteiligt, die 1980 in der DDR unter dem biblischen Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ begann. In diesem Jahr steht die längst bundesweite Veranstaltung vom 10. bis 20. November unter dem Leitwort „Friedensklima“. Dabei geht es sowohl um den Klimaschutz als auch um das gesellschaftliche Klima, das menschliche Miteinander. Es steht schlecht um das vergiftete Friedensklima in unserem Land. Sprache verroht, Ellenbogen sind oft wichtiger als helfende Hände, Politikerinnen und Politiker werden übel beleidigt und sogar mit dem Tod bedroht. Christen werden als Friedensmacher gebraucht. Der aktuelle Wochenspruch bringt das so auf den Punkt: Selig sind, die Frieden stiften; denn sie werden Gottes Kinder heißen. Und die Jahreslosung für 2019 fordert uns auf: Suche Frieden und jage ihm nach!
Bei so vielen Auf- und Anforderungen könnte der Mittelpunkt des Predigttextes übersehen werden: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Gemeint ist die Barmherzigkeit Gottes, wie wir sie durch Jesus kennen gelernt haben. Jesus hat grenzenlos und bis an sein Lebensende seine Feinde geliebt. Grenzenlos! Heute wollen nationalistische und rechtsradikale Bewegungen völkische Grenzen ziehen, vor denen der westfälische Präses Hans Thimme schon 1965 gewarnt hat. Er schrieb: „Wenn Liebe das ist, was sich gerade auch am Feinde bewährt, dann folgt jedenfalls daraus, dass sie etwas anderes ist als natürliche Zuneigung und Sympathie, als Interessen- und Gesinnungsgemeinschaft, als ein in Blut und Boden und gemeinsamem Schicksal begründetes Gefühl der Zusammengehörigkeit.“
Gottes grenzenlose Liebe und Barmherzigkeit sind der Maßstab und das Vorbild für das Leben der Christen. Wie Gott sich erbarmt, so sollen wir uns erbarmen; wie Gott bedingungslos liebt, sollen auch wir lieben. Wie Gott mir, so ich dir. Mehr noch: Weil Gott sich über uns erbarmt, können wir uns erbarmen; weil Gott uns grenzenlos liebt, können auch wir lieben. Gott fordert nicht nur die grenzenlose Liebe, sondern er ermöglicht sie auch. Gott überfordert uns nicht. Seinem Anspruch geht stets der Zuspruch voraus. In einem Gottesdienstentwurf für die Friedensdekade zum „Friedensklima!“ wird das so zusammengefasst: „Gott schenkt uns seinen Frieden. Das ist die Grundlage unseres Einsatzes und unseres Gebets für den Frieden.“