Der Münchner Psychiater und Psychoanalytiker Werner Huth (94) hat drei Empfehlungen parat, um sich gegen Ideologien und Wahnvorstellungen zu wappnen: “Der wichtigste Satz, den man heute lernen muss, lautet: ‘Ich halte es für möglich, dass ich mich irre'”, sagte Huth am Donnerstagabend in München. Der zweitwichtigste Satz: “Du sollst die Argumente deines Gegners nicht bekämpfen, sondern retten, selbst wenn Du seiner Position nicht zustimmst.” Und: Jeder Mensch sollte täglich einmal für fünf Minuten still sein und den eigenen Atem beobachten.
Huth hat vor fast 40 Jahren ein Buch mit dem Titel “Glaube, Ideologie und Wahn. Der Mensch zwischen Realität und Illusion” verfasst und nun eine überarbeitete Fassung vorgelegt. Der Neurologe analysiert darin anhand seiner jahrzehntelangen therapeutischen Tätigkeit die Grenzen zwischen Wahrheit und Täuschung, Religion und Dogma, Offenbarung und Spekulation, Mystik und Wissenschaft. Von 1973 bis 1991 lehrte er an der Hochschule für Philosophie der Jesuiten in München. Dort stellte er die Neuausgabe seines Standardwerkes vor.
Der Arzt sagte, es sei völlig utopisch anzunehmen, dass eines Tages Ideologien und Wahnvorstellungen aus der Welt verschwunden seien. Auf die Frage, woran man persönlich den Unterschied zwischen Glaube und Wahn erkennen könne, sagte er: “Alleine werden Sie es nicht merken.” Der Mensch sei von Natur aus weder gut noch böse, sondern “viel gebrochener, als wir uns das vorstellen.” Endgültige Wahrheiten gebe es keine, so der Psychiater. “Wir müssen uns begnügen, bescheiden sein. Ideologen können das nicht, die haben ein totales Wissen.” In der Grundform bedeute Glauben, jemandem sein Herz schenken.
Huth berichtete auch, wie er selbst durch eine Begegnung mit dem Jesuit und Theologen Karl Rahner einen persönlichen Zugang zu einem religiösen Glauben gefunden habe. Er habe seinem Kollegen an der Hochschule einmal gesagt, als Naturwissenschaftler könne er nicht an Gott glauben. Darauf habe Rahner geantwortet, er wisse auch nicht, ob es Gott gebe. Aber er stehe da vor einem “unsagbaren Geheimnis”. Dies habe ihn überzeugt, gab der Psychiater zu verstehen.