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Warum die Frau nicht schweigt

Die Bibel ist als Heilige Schrift die große Autorität für den christlichen Glauben. Und das, obwohl kein Mensch mehr ihre Forderungen wörtlich versteht. Wie passt das zusammen?

Frauen in der Kirche – das ist für evangelische Christinnen und Christen hierzulande inzwischen ganz normal. Und zwar nicht nur in Gemeindegruppen und Gottesdiensten; da bilden sie seit jeher die Mehrheit und die Basis.
Sondern auch in der Gemeindeleitung, im geistlichen Amt: Pastorinnen, Pfarrerinnen gehören zum evangelischen Alltag. Es gibt Superintendentinnen, Bischöfinnen, in Westfalen eine Präses. Vor einigen Jahren wurde die gesamte Evangelische Kirche in Deutschland durch eine Frau als Ratsvorsitzende repräsentiert: Margot Käßmann.
Aber das ist nicht überall so. Dass in der katholischen Kirche Frauen das Priesteramt nicht bekleiden dürfen – das ist bekannt. Aber auch evangelische Kirchen in unserer Nachbarschaft tun sich plötzlich wieder schwer mit der Ordination von Frauen ins Pfarramt (siehe Seite 2: Lettland und Polen).
Woran liegt es, dass Christen in wichtigen Fragen so unterschiedlicher Meinung sein können?
Es liegt daran, wie so oft, wie man die Bibel liest. Die Gegner der Frauenordination berufen sich auf eine Stelle im 1. Korintherbrief im 14. Kapitel. Und tatsächlich steht da: Die Frauen sollen „schweigen in der Gemeindeversammlung; denn es ist ihnen nicht gestattet zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt“.
Das ist eindeutig und galt für christliche Kirchen jahrhundertlang. Wie kann man das heute anders verstehen?
Die Bibel ist als Heilige Schrift die große Autorität für den christlichen Glauben. Aber inzwischen hat man verstanden, dass sie nicht dadurch „heilig“ ist, dass jedes ihrer Worte unantastbar wäre; quasi Wort für Wort von Gott den Schreibern in Herz und Hirn geflüstert. An diese so genannte Verbalinspiration glaubt heute niemand mehr – auch die nicht, die das behaupten.
Zu groß sind die Unterschiede zwischen manchen biblischen Stellen – bis hin zu klaren Widersprüchen –, als dass man die Bibel als Werk aus einem Guss ansehen könnte. Die Heilige Schrift ist über Jahrhunderte hinweg entstanden. Sie ist eine Sammlung von Schriften, in denen Menschen ihre Erlebnisse und Erfahrungen mit Gott niedergeschrieben haben.
Darin spiegeln sich immer auch die Sichtweisen und das Umfeld der jeweiligen Zeit. Manche sagen: der Zeitgeist. Anders können Menschen eben nicht denken, verstehen, reden und schreiben.
Um die Wegweisung der Bibel zu verstehen, muss man sie auslegen. Das ist an sich nichts Neues. Nur ändern sich immer wieder die Ergebnisse dieser Auslegungen. Kein Christ in Europa würde heutzutage für Ehebrecher die Todesstrafe fordern – obwohl das in der Bibel klar gefordert wird. Genauso, wie der Genuss von Schweinefleisch strikt verboten wird. Das sind in unserer Zivilisation seit Langem unstrittige Punkte.
Bei anderen – siehe Frauenordination – ist die Änderung noch im Gange. Zur Erinnerung: Schaumburg-Lippe hat als letzte EKD-Gliedkirche erst 1991 Frauen ins Pfarramt zugelassen.
Es kommt darauf an, wie man die Bibel liest. Darum muss gerungen werden. Immer wieder neu.