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Warum das nächste Semester eine Wundertüte wird

Wie nimmt das Uni-Leben wieder Fahrt auf? Darüber gibt Gisela Groß-Ikkache Auskunft. Die Pastorin der Evangelischen Studierendengemeinde verrät im Interview, auch welche Rolle Religionen auf dem Campus spielen.

Pastorin Gisela Groß-Ikkache
Pastorin Gisela Groß-IkkachePrivat

Hamburg. Gisela Groß-Ikkache ist Pastorin in der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) Hamburg. Gemeinsam mit Pastor Christof Jaeger und Ute Schönborn-Gieße organisiert sie die studentische Seelsorge auf dem Campus. Im Gespräch mit Rebekka Krüger berichtet sie zum neuen Wintersemester 2021/22 von den Problemen durch die Corona-Pandemie – und warum Religionen auf den Campus gehören.

Welche Rolle spielt die ESG auf dem Campus?
Gisela Groß-Ikkache: Die ESG steht als kirchliche Gemeinde für die Präsenz von Kirche an der Hochschule. Es ist wichtig, dass Kirche vor Ort ist und zeigt, dass wir Interesse an dieser Welt der Hochschulen, an Forschung und Studierenden haben. Wir möchten in Kontakt kommen und jungen Menschen den Raum geben, um über das zu sprechen, was sie bewegt. Es ist wichtig, einen Raum für all das zu haben, was über die Leistungsansprüche der Unis hinausgeht.

Es gibt aber auch die Meinung, Religion sei Privatsache und habe an Hochschulen nichts zu suchen. Dagegen versuchen wir mit allen religiösen Hochschulgemeinschaften Widerstand zu leisten. Religion ist Teil der eigenen Identität und kann nicht so einfach weggedacht werden.

Konnten Sie in Ihrer Rolle als Seelsorgerin feststellen, ob die Corona-Pandemie Auswirkungen auf die Studierenden hatte?
Sie hatte große Auswirkungen. Es gibt viele Studierende, die jetzt zu diesem Semester ihre Kommilitonen und Kommilitoninnen das erste Mal sehen. Alle Formen von Vernetzung, wie etwa das gemeinsame Essen in der Mensa, sind weggefallen. Viele haben auch psychisch darunter gelitten. Das hat in die Vereinzelung, in die Vereinsamung geführt.

Neben Kontakten haben viele Studierende auch ihre Jobs verloren. Das hat besonders die internationalen Studierenden hart getroffen, die ihr Studium dadurch finanzieren. Studierende sind häufig in einer Umbruchsituation – sie ziehen aus, beginnen ein eigenes Leben. Der Freundeskreis verändert sich. Man geht in andere Richtungen. Bestimmt können einige die Kontakte mit Freunden trotzdem pflegen. Aber für andere ist da einiges weggebrochen.

Timo Teggatz

Wie ist die ESG diesen Problemen in der Pandemie begegnet?
Es gibt die anonyme Studentische Telefonseelsorge, dort sind die Zahlen der Anrufe sehr gestiegen, aber auch das Interesse von Studierenden, dort ehrenamtlich mitzuarbeiten. Auch Seelsorge in Präsenz war gefragt. Wir bieten zudem finanzielle Hilfen für in Not geratene internationale Studierende an. Aus den guten Erfahrungen, sich auch draußen zu treffen, ist in diesem Semester das Format der Exerzitien auf dem Campus hervorgegangen. Dabei geht es um Selbstwahrnehmung, aber auch um die Wahrnehmung der Außenwelt.

Die coronabedingten Onlinesemester gehen zu Ende – Präsenzlehre fängt wieder an. Was bedeutet das für die Angebote der ESG?
Wir befinden uns in einer Übergangsphase. Es wird kein „back to normal“ geben. Wir müssen erkennen, was die Veränderungen von der Pandemie genau sind und was das für uns bedeutet. Ob neue Formate gebraucht werden – vielleicht ist es auch sinnvoll, etwas Digitales weiterzuführen. Es wird ein Experimentieren sein.

Ist der „Interreligiöse Semesterstart“, zu dem Sie einladen, auch so ein Experiment?
Nein, der hat eine ganz feste Tradition. Interreligiös wird jedes Semester gefeiert – also zweimal im Jahr. Organisatoren sind die evangelische, die katholische und die islamische Hochschulgemeinde. Wir treffen uns dabei normalerweise im Raum der Stille direkt auf dem Campus. Da der Raum zurzeit geschlossen ist, werden wir uns am Mittwoch, 27. Oktober, um 19 Uhr draußen treffen, vor dem Raum. Dann gibt es einen kleinen thematischen Input und die Möglichkeit, in verschiedenen religiösen Traditionen ein Gebet zu sprechen. Im Wintersemester ist es Tradition, anschließend gemeinsam zum Bowling zu gehen, das können wir jetzt endlich wieder machen.

Was für ein Semester liegt jetzt vor den Studierenden?
Das hat was von einer Wundertüte. Wir stehen einerseits noch vor vielen Fragezeichen: Was jetzt? Traut man sich, jetzt einfach weiterzumachen? Wie fühle ich mich jetzt in einem Raum voller Menschen? Ich denke, wir werden uns schnell wieder dran gewöhnen. Wir sind ja auch energiegeladen und freuen uns, dass vieles wieder möglich ist. Sachen, auf die teilweise sehnsüchtig gewartet wurde – zusammen zu sein, sich auszutauschen, einander zu sehen und die Hoffnung, dieses Miteinander auch wirklich feiern zu können.