HANNOVER/BONN – Die beiden großen Kirchen haben keine Erkenntnisse über gezielte Repressalien gegenüber Christen in deutschen Flüchtlingsheimen. „Eine flächendeckende und systematische Diskriminierung von Christen und anderen religiösen Minderheiten in Asylbewerberunterkünften ist nicht festzustellen“, erklärten der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, und der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx. Sie gründen ihr Urteil auf Befragungen bei katholischen Diözesen und evangelischen Landeskirchen sowie kirchlichen Organisationen, die mit der Unterbringung von Flüchtlingen befasst sind.
Bedford-Strohm und Marx mahnen zu einer differenzierten Sicht. Vielerorts gelinge das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen und Kulturen. „Allerdings trifft man in Asylbewerberunterkünften auf ein den Umständen geschuldetes erhöhtes Konflikt- und Gewaltpotenzial, das sich im Einzelfall auch mit religiösen Aversionen vermischen kann“, warnen sie.
„Viele Konflikte entzünden sich an Alltagssituationen. Nicht jede Auseinandersetzung zwischen Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit sollte deshalb als religiös motivierter Konflikt klassifiziert werden“, erläutern die obersten Kirchenrepräsentanten. Es gebe jedoch auch Berichte, wonach Christen und andere religiöse Minderheiten aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit Opfer von Ablehnung, Einschüchterung, Benachteiligung oder sogar Gewalt würden. Niemand könne jedoch genaue Zahlen nennen, auch nicht die staatliche Seite. Nach derzeitigem Erkenntnisstand seien solche Vorfälle vergleichsweise selten. Sie dürften jedoch nicht bagatellisiert werden. „Jeder Fall ist ein Fall zu viel“, erklären Bedford-Strohm und Marx.
„Erhebliche Zweifel“ äußern sie an „der allgemeinen Aussagekraft“ einer Studie des Hilfswerks „Open Doors“, die nach Ansicht des Auftraggebers eine systematische Verfolgung christlicher Flüchtlinge belegt (UK berichtete). Bedford-Strohm und Marx beklagen, dass es „neben viel gutem Willen zur Wahrheit und einem echten Interesse an der Lage von Christen auch ein beträchtliches Maß an Heuchelei“ gäbe. „Für manche scheinen die Probleme in Asylbewerberunterkünften vor allem ein willkommener Anlass zur Propaganda gegen muslimische Flüchtlinge und den Islam im Allgemeinen zu sein.“ epd
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Wahrheit und Heuchelei
Die beiden großen Kirchen mahnen zu einer differenzierten Sicht auf die Lage der Christen in den Flüchtlingsunterkünften

Volker Hoschek