Artikel teilen

Vor der Wahl – Wie Schengen und seine Nachbarn Europatag feiern

Schengen feiert Europa: Einen Monat vor der Europawahl wird in Schengen und seinen beiden Nachbarorten in Deutschland und Frankreich gemeinsam gefeiert. Schengen steht für mehr als grenzenloses Reisen.

Wohl nur wenige Ortsnamen werden so oft in politischen Debatten als Argument benutzt wie Schengen. Denn der sogenannte “Schengen-Raum” ist ein Synonym für das unbeschränkte Reisen in weiten Teilen Europas. Gleichzeitig wissen viele nicht, wo Schengen eigentlich liegt: an der Mosel in Luxemburg in Blickweite zu Frankreich und Deutschland. Einen Monat vor der Wahl zum EU-Parlament feiern tausende Einheimische und Gäste in Schengen und den Nachbarorten Perl in Deutschland und Apach in Frankreich gemeinsam den Europatag 2024.

“Ich wohne in einem Dreiländereck und bin ein Nutznießer der Region”, sagt Marc Schoentgen im Cafe am Europamuseum. Er ist Leiter der Objektschutzabteilung der Polizei für die drei großherzoglichen Schlösser und stammt aus Schengen, wo vor fast 40 Jahren das Abkommen zum Abbau von Grenzkontrollen in Europa unterzeichnet wurde. Die europäische Reisefreiheit hat hier ihren Ursprung. Typisch für das Dorf mit seinen weniger als 1.000 Einwohnern sind Weinberge und Tankstellen. Denn Deutsche und Franzosen kommen gern, um günstig zu tanken und Zigaretten zu kaufen.

“Europa ist hier so spannend, weil jede Region eigen ist und ihre Vorzüge hat. In Luxemburg verbindet sich das alles”, schwärmt Schoentgen. Von Schengen aus sind Deutschland und Frankreich in nur wenigen Minuten zu erreichen, auch ohne Auto. “Für mich heißt Europa, dass ich am 9. Juni zur Europawahl gehe und dort meine Stimme demokratischen Parteien gebe”, sagt der Polizist und spricht zugleich von seiner Sorge vor europaskeptischen Strömungen.

Schoentgen ist bald mit Nadja Bretz aus Saarbrücken verheiratet. Sie ist Leiterin von SOS Detresse, der Telefon- und Online-Seelsorge in Luxemburg mit fünf europäischen Sprachen. Zusammen leben sie inzwischen in Perl, direkt gegenüber von Schengen auf der deutschen Seite der Mosel-Brücke: “Ich genieße das Leben hier in der Moselregion in vollen Zügen. Es ist sehr divers, obwohl es dörflich ist.” Die beiden sind glücklich in Perl und genießen die Ausflüge über die Brücke in sein Heimatdorf Schengen.

Im Alltag und in politischen Statements scheinen der Schengener Grenzraum oder die Großregion insgesamt – mit Teilen Belgiens, Frankreichs, Deutschlands sowie dem Staat Luxemburg als Mittelpunkt – besonders europäisch. Forscher der Universität des Saarlandes haben zuletzt jedoch herausgefunden, dass zumindest die deutschen Grenzland-Bewohner nicht europäischer sind als Menschen im Binnenland. Dafür haben sie die Angaben von rund 25.000 Menschen aus dem sozio-oekonomischen Panel untersucht, der größten Langzeit-Datensammlung Deutschlands.

“Die Ergebnisse zeigen erstaunlicherweise, dass das Leben in einer Grenzregion nicht mit einer stärkeren Bindung an Europa einhergeht”, fasst Forscher Martin Schröder das zentrale Ergebnis zusammen. Dieses wurde im März im “Journal of Common Market Studies” veröffentlicht. Die Wissenschaftler möchten nun genauer wissen, warum das Herz für Europa an der Grenze nicht höher schlägt als anderswo. Weitere Untersuchungen sollen neue Erkenntnisse bringen.

Europa könnte nach Ansicht der Forscher der Uni Saarbrücken in den Grenzregionen stärker zu spüren sein; doch würden Grenzregionen auch als Konfliktzonen wahrgenommen. Zuletzt war dies spürbar, als Deutschland im Rahmen der Corona-Pandemie 2020 die Grenzen zu Frankreich und Luxemburg fast komplett geschlossen hatte. Unmut an den Grenzen, die hier im Alltag sonst keine Rolle mehr spielen, war die Folge.

Beim gemeinsamen Volksfest entlang der Mosel sowie auf der Brücke zwischen Schengen und Perl ist davon immer noch etwas zu spüren. “Wir machen hier das, wovon andere sprechen: Europa leben”, betont Ralf Uhlenbruch (CDU), der Perler Bürgermeister bei der Eröffnung. Man zeige mit konkreten Projekten wie einem solchen Fest, dass Europa einen Sinn habe, betont er: “Auf die Erfahrungen in der Corona-Pandemie hätten wir aber gern verzichtet.” Die Menschen verstehen, wovon er spricht. Der Ärger über die Grenzschließungen von damals hält sie aber an diesem Europatag nicht vom gemeinsamen Feiern ab.