Artikel teilen

Vor allem Jüngere leiden unter Einsamkeit – “Pandemie-Effekt”

Vorübergehende Einsamkeit erleben viele Menschen einmal. In Folge der Corona-Pandemie wächst jedoch anhaltende und belastende Einsamkeit unter jungen Menschen. Fachleute sehen zudem eine scheinbar paradoxe Entwicklung.

Eine Mehrheit der Menschen in Deutschland kennt die Einsamkeit: Das zeigt ein am Mittwoch vorgestellter Report der Techniker Krankenkasse. Rund 60 Prozent der Befragten haben diesen Zustand schon erlebt – vier Prozent häufig, 13 Prozent manchmal und 41 Prozent selten. Besonders betroffen seien jüngere Menschen: Bei den 18- bis 39-Jährigen sagten 68 Prozent, sich häufig, manchmal oder selten einsam zu fühlen; 36 Prozent von ihnen belastet dieses Gefühl stark.

Im jungen Erwachsenenalter seien Phasen der Einsamkeit insofern normal, als in dieser Zeit viele Entwicklungsaufgaben anstünden, sagte Soziologe Janosch Schobin. So verließen junge Menschen das Elternhaus und müssten ihre eigene soziale Welt aufbauen – in äußerst dynamischen Beziehungen. In diesem Zusammenhang könne Einsamkeit einen nützlichen Impuls dazu geben, in Beziehungen zu investieren. Angesichts der aktuellen Zahlen stelle sich jedoch die Frage, warum dies zunehmend nicht gelinge und warum manche Menschen sich immer stärker zurückzögen.

Historisch betrachtet seien hochaltrige Menschen einsamer gewesen als Jüngere; dieser Trend habe sich im Zuge der Corona-Pandemie umgekehrt, so Schobin. “Der Pandemie-Effekt ist ziemlich deutlich.”

Zudem beschrieb der Forscher eine Entwicklung, die zunächst paradox erscheine: In Deutschland gebe es im internationalen Vergleich eine sehr hohe Qualität von Nahbeziehungen sowie ein “stabiles Freundschaftsleben”. Dies mache es besonders schwierig für diejenigen, die aus unterschiedlichsten Gründen durch das Raster gefallen seien: Sie stünden anderen gegenüber, denen es gut gehe und die keine weiteren Kontakte suchten.

Chronische Einsamkeit könne krank machen, warnte der Vorstandsvorsitzende der Krankenkasse, Jens Baas. So träten Symptome wie Stress, Erschöpfung, gedrückte Stimmung oder Schlafstörungen bei einsamen Menschen deutlich häufiger auf. Laut Report ist sie zudem weiterhin ein Tabuthema. Jeder dritte betroffene Mann (33 Prozent) und jede fünfte betroffene Frau (20 Prozent) hat nach eigenen Worten noch nie mit jemandem darüber gesprochen. “Um so wichtiger ist es, Einsamkeit aus der Tabuecke herauszuholen”, betonte Baas.

Als hilfreich gegen Einsamkeit wurde am häufigsten das Hören von Musik, Podcasts oder Hörspielen genannt (74 Prozent). Soziologe Schobin, der auch für das Kompetenznetzwerk Einsamkeit tätig ist, wies zudem auf zahlreiche Angebote hin, um in den sozialen Austausch zu kommen – “von Nachbarschaftstreffs über Online- und telefonische Beratungsstellen bis hin zu Mehrgenerationenhäusern”. Diese Angebote, die sich mit einer gezielten Postleitzahlensuche suchen ließen, seien noch zu wenig bekannt. Ebenso könnten ehrenamtliche Tätigkeiten einen “Puffer für die aktive Person” bilden.

Das Meinungsforschungsinstitut Forsa befragte laut Angaben im Mai 1.403 Personen ab 18 Jahren bevölkerungsrepräsentativ.