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Vor 75 Jahren wurde Theodor Heuss der erste Bundespräsident

Als Mitglied im Parlamentarischen Rat schuf Theodor Heuss das Amt des Bundespräsidenten. Seine vermittelnde Art brachte ihn ins Gespräch als möglichen Kandidaten. Seine Wahl war letztlich parteipolitisches Kalkül.

“Es ist für mich mit persönlicher Resignation verbunden”: Diese Worte sprach der frisch gewählte Bundespräsident Theodor Heuss gerichtet an die Mitglieder des Bundestags und Bundesrats. Brachte das Amt für den Publizisten und Politikwissenschaftler doch Einschnitte im Blick auf seine wissenschaftliche und literarische Arbeit mit. Der pflichtbewusste Schwabe stellte sich seiner neuen Aufgabe dennoch.

Drei Stunden und 17 Minuten dauerte die erste Bundesversammlung der deutschen Geschichte. Am 12. September 1949 ging Heuss als erster Bundespräsident aus ihr hervor. Während er im ersten Wahlgang mit 377 Stimmen noch die nötige Mehrheit verfehlte, wurde er im zweiten Wahlgang mit 416 von 800 abgegebenen Stimmen zum ersten Staatsoberhaupt der Bundesrepublik gewählt.

Es war wohl seine vermittelnde Art, wie er selbst in seiner ersten Ansprache bemerkte, die ihn zum Bundespräsidenten machte. Dass er “auf der Rechten wie auf der Linken persönliche Freundschaften und Vertrauensverhältnisse besaß”, wie er selbst sagte, machte ihn zum geeigneten Kandidaten für das parteiübergreifende Staatsamt.

Das wusste auch Konrad Adenauer (CDU) für sich zu nutzen. Denn zur ganzen Wahrheit gehört, dass es der erste Bundeskanzler war, der den FDP-Politiker Heuss als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten vorschlug. Damit wollte er die Liberalen als Koalitionspartner für sich gewinnen, was schließlich auch gelang. Adenauer wurde drei Tage später Bundeskanzler in einer Koalition von CDU, FDP und Deutscher Partei.

Innerhalb der CDU stieß der Vorschlag nicht nur auf Zustimmung. So war der Liberale dem Gewerkschaftsflügel zu wirtschaftsfreundlich und den überzeugten Katholiken zu kirchenfern. Dass es für Heuss letztlich zur Wahl reichte, lag auch an seinem Gegenkandidaten Kurt Schumacher. Der SPD-Vorsitzende polarisierte durch seine Art Politik zu treiben und galt daher für viele als nicht wählbar.

“Heuss zieht dem Kampf das Nachdenken vor”, schrieb der im Februar gestorbene deutsch-französische Historiker Alfred Grosser. Kritiker warfen Heuss vor, ihm fehle “Ellbogenkraft”. Ihnen erwiderte er. “Ich selber habe das Gefühl: Von der Ellbogenpolitik haben wir reichlich genug gehabt.”

Heuss’ vermittelnde Art brachte ihm viele Sympathien ein, als Bundespräsident wurde er “zu einer mit dem Amt verwachsenen, von jeder Partei unabhängigen Figur”, schreibt Grosser. Auch deshalb war ihm seine Wiederwahl 1954 sicher; keine Partei stellte einen Gegenkandidaten. Manche einer wollte Heuss weitere fünf Jahre an der Spitze sehen. Eine dritte Amtszeit lehnte er jedoch ab, weil dafür das Grundgesetz hätte geändert werden müssen.

Seinen größten politischen Fehler beging Heuss nicht als Bundespräsident, sondern als Reichstagsabgeordneter im März 1933: Er stimmte im Reichstag für Hitlers “Ermächtigungsgesetz”. Kaum zugestimmt, entzogen die Nazis ihm das Reichstagsmandat und entließen ihn als Dozent an der Hochschule für Politik.

Es folgten Jahre, in denen er Biografien und als Journalist für die “Frankfurter Zeitung” schrieb. 1948 wurde Heuss Vorsitzender der neu gegründeten FDP und war für sie Mitglied im Parlamentarischen Rat, der das Grundgesetz verfasste. Damit war er auch an der Entscheidung beteiligt, sein späteres Amt zu schaffen.

Heuss stellte seine Amtszeiten unter das Ziel der “Entkrampfung der Deutschen”: Dem Brückenbauer war es wichtig, verhärtete Fronten zwischen “links” und “rechts”, Alt-Nazis und Anti-Nazis und gegenüber Migranten und Siegermächten zu überbrücken. 1952 provozierte er seine Landsleute mit der Aussage, jeder Deutsche habe von den NS-Verbechen gewusst. Den Vorwurf der Kollektivschuld lehnte er hingegen ab. Er sprach vielmehr von der “Kollektivscham”, in die jeder Deutsche nach 1945 eingetreten sei.

65 Jahre alt war Heuss, als er erstmals zum Bundespräsidenten gewählt wurde. 1908 heiratete er Elly Heuss-Knapp, selbst Politikerin und Vorkämpferin für Frauen in der Politik. Bis zu ihrem Tod 1952 war sie die erste “First Lady” der Bundesrepublik und gründete 1950 das Müttergenesungswerk.

Als erster Bundespräsident prägte Heuss das Amt zehn Jahre lang. In dieser Zeit hielt er 775 Reden – selbst verfasst und nur mit wenigen Notizen – mit denen er in die Bevölkerung wirkte, ohne parteipolitisch zu agieren. 1963 starb Heuss wenige Wochen vor seinem 80. Geburtstag.