Nur wenige Medien haben die Politik der Bundesrepublik so beständig begleitet und beeinflusst wie die FAZ. Inzwischen blickt das Blatt aus Frankfurt selbst auf eine bewegte Geschichte zurück.
Als die FAZ am 1. November 1949 zum ersten Mal erschien, war die Bundesrepublik Deutschland noch nicht mal ein halbes Jahr und die DDR eben mal drei Wochen alt. Niemand wusste, wie es damit auf Dauer weitergehen würde. Auch deshalb war der Name der neuen Zeitung, die in Frankfurt aus der Taufe gehoben wurde, kühn. Frankfurter Allgemeine lautete der Titel, Zeitung für Deutschland die Unterzeile.
Beim Namen ist es bis heute geblieben, und auch vieles andere hat sich über Jahrzehnte gehalten: das einmalige Konstrukt mit mehreren Herausgebern – und ganz ohne Chefredakteur. Die inhaltliche Unabhängigkeit der Abteilungen für Politik, Wirtschaft, Feuilleton und Rhein-Main.
Geblieben ist auch die einmalige Mischung von Menschen mit ganz unterschiedlichen Weltanschauungen, die lange Zeit ungefähr das Spektrum dessen abdeckte, was man auch in den Parteien CDU/CSU und FDP vorfand: Über Jahrzehnte gab es bei der FAZ Deutschnationale, Preußisch-Protestantische, Katholisch-Konservative, Atlantiker, Wirtschaftsliberale und (vor allem im Feuilleton) Freigeister – um nur die wichtigsten Strömungen zu nennen.
Inzwischen macht sich auch schon mal der linksliberale, klimaschützerische und sogar “woke” Geist in der Redaktion bemerkbar. Und so hat die leicht nach links verschobene FAZ ein Stück weit Platz gemacht für die auf den deutschen Markt drängende rechtsliberale Neue Zürcher Zeitung NZZ.
Ihren jahrelangen Widerstand gegen die deutsche Rechtschreibreform gab die FAZ zum 1. Januar 2007 auf. Im selben Jahr wurde das (farbige!) Titelbild auf der Seite eins eingeführt. Auch die Berichterstattung über gesellschaftliche Phänomene von der Abtreibung bis zur Homo-Ehe ist seither bunter und “diverser” geworden.
Das war noch bis Anfangs der Nuller Jahre des 21. Jahrhunderts deutlich anders. Das zeigte sich auch in der Kirchenberichterstattung. In einer Zeit, in der die beiden damals noch großen Kirchen über erheblichen gesellschaftlichen und politischen Einfluss verfügten, leistete sich die FAZ je einen Redakteur für Berichte über die protestantischen Kirchen und über die katholische Kirche. Dieser wurde noch verstärkt durch den FAZ-Korrespondenten in Rom, der zugleich Vatikankorrespondent war.
Einer von ihnen, der Theologe Heinz-Joachim Fischer, berichtete fünf Jahre über die katholische Kirche in Deutschland und dann 31 Jahre lang über den Vatikan. Bis ins Jahr 2009 prägte er den Blick deutscher Leser auf die katholische Kirche so sehr, dass damals die FAZ von manchen ironisch als “die bevorzugte Kirchenzeitung der deutschen Bischöfe” bezeichnet wurde.
Damals konnte ein Kardinal Joseph Ratzinger noch in einem ganzseitigen FAZ-Interview sein umstrittenes Dokument “Dominus Iesus” verteidigen und erklären: “In diesem Sinne beleidigen wir doch niemanden, wenn wir sagen, dass die faktischen evangelischen Kirchentümer nicht im gleichen Sinn Kirche sind, wie die katholische es selbst sein will.”
Auch der lange Streit um die katholische Schwangeren-Konfliktberatung in den 90er Jahren wurde oft über die FAZ ausgetragen. Befürworter und Gegner belieferten die dortigen Fachredakteure für Kirchenfragen immer wieder mit “durchgestochenen” Informationen und vertraulichen Briefen – mal aus dem Umfeld des liberalen Bischofskonferenz-Vorsitzenden Karl Lehmann, mal aus dem Vatikan.
Ähnlich wirkmächtig wie in der Kirchenpolitik war die FAZ auch auf außenpolitischem Gebiet. Der langjährige Politik-Herausgeber Johann Georg Reißmüller – er war dies von 1974 bis 1999 – schrieb in den Wirren des Jugoslawien-Zerfalls die Anerkennung der Unabhängigkeit der Republiken Sloweniens und Kroatiens geradezu herbei. Mit seinen brillanten und scharfen Kommentaren brachte er den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl und Außenminister Hans-Dietrich Genscher frühzeitig auf diese Linie.
Schon Mitte der 70er Jahre hatte Reißmüller ähnlich scharf gegen die damals drohende Anerkennung der DDR durch den Vatikan polemisiert. So trug er mit dazu bei, dass die deutschen Bischöfe Papst Paul VI. von diesem Vorhaben abbrachten.
Mit ihrem großen Korrespondentennetz verfügte die FAZ oft über bessere Informationen als manche Diplomaten und Geheimdienstler. Als sich im Frühsommer 1989 die FAZ-Korrespondenten zu ihrem alljährlichen Jour-Fixe in der Frankfurter Zentrale trafen, überraschte die Ostberlin-Korrespondentin Monika Zimmermann ihre Kollegen mit der Aussage, dass die Stimmung in der DDR schon gekippt sei. Ihre damalige Prognose, dass sich das Land hinter der Mauer noch höchstens einige Monate halten könne, ging bald danach in Erfüllung.
Als die DDR untergegangen war, investierte die FAZ in mehrere Zeitungstitel im Osten Deutschlands, bis auf die Märkische Allgemeine verschwanden sie jedoch alle bald vom Markt.
Das war bereits die zweite große Fehlinvestition der 80er Jahre. Die erste leistete sich die FAZ mit dem Einstieg in die damals sogenannten Neuen Medien. Noch vor der Entstehung des Internets steckte man große Summen in die unausgereifte interaktive Informationstechnologie “Bildschirmtext” (BTX) und verlor damit viel Geld.
Als dann das echte Internet die Medienwelt eroberte und grundlegend umgestaltete, zögerte das gebrannte Kind FAZ lange, auf diesem Feld mitzuspielen. Doch sinkende Printauflagen – seit der Jahrtausendwende hat sich die Auflage der FAZ mehr als halbiert und liegt nun weit unter 200.000 – ließen dem Verlag keine andere Wahl. Doch das spät entwickelte Medium FAZ.Net brauchte lange, um Marktanteile zu erobern, die sich zuvor andere Player wie Spiegel Online oder Zeit.de über Jahre gesichert hatten.