Nach der Niederlage gegen die DDR redete Franz Beckenbauer Tacheles mit der Mannschaft. Er gab Taktik und Aufstellung vor. Ab da lief es gegen Jugoslawien, Schweden und Polen – bis zum Einzug ins Finale.
Das Münchner Olympiastadion war rappelvoll. 76.000 Zuschauer wollten sich am 7. Juli 1974 das Endspiel der Fußballwelt-WM nicht entgehen lassen. Der Rest der Nation saß an den TV- und Radiogeräten: Die deutsche Mannschaft hatte es beim Turnier im eigenen Land bis ins Finale geschafft. Ihr Gegner: die favorisierten Niederländer. Damit gab es auch das Duell der beiden Topspieler: Franz Beckenbauer gegen Johan Cruyff.
Für die Schlussfeier war noch mal alles an Entertainment aufgeboten, um ein fröhliches Bild von Deutschland in die Welt zu verbreiten: Lokalkolorit und ein Touch internationaler Flair. Die Münchner Schäffler tanzten, 1.500 Sängerinnen und Sänger der Fischerchöre traten auf und die Alberta All Girls aus Kanada mit ihren Blechinstrumenten. Kinder grüßten mit Blumen – und weißen T-Shirts mit den Turnier-Maskottchen “Tip” und “Tap”.
Um 16.00 Uhr tauschten die Spielführer Cruyff und Beckenbauer die Wimpel, die Seiten wurden ausgelost. Dann pfiff der englische Referee die Partie an: Anstoß Niederlande. Der Ball lief über 20 Stationen; kein Spieler der deutschen Elf hatte ihn bisher berührt, als in höchster Not vor dem deutschen Tor Uli Hoeneß Cruyff die Beine wegzog: Elfmeter! Gespielt war gerade mal eine Minute.
Johan Neeskens legte sich den Ball zurecht. Torhüter Sepp Maier war sich sicher, wie er in seinen Erinnerungen schreibt, in welche Ecke Neeskens schießen würde. Genau dorthin hechtete er – doch vergeblich: “Wäre ich stehen geblieben, hätte ich ihn gehabt. Neeskens hat nämlich nicht richtig getroffen, ein bisschen in den Boden gehauen.” Die Kreide am Elfmeterpunkt staubte noch in die Höhe – die Niederländer früh in Führung.
In der ZDF-Dokumentation “Terra X History” erinnert sich Paul Breitner an diesen Moment: “Ich wollte heim zu Mami. Ich schäme mich, ich könnte heulen, ich könnte weinen, ich möchte mich im Boden vergraben oder rauslaufen: Du bist fertig, fertig, fertig.” Der frühe Rückstand habe der deutschen Elf aber gut getan, ist Maier heute überzeugt. Und der im Januar 2024 gestorbene Beckenbauer meinte, die Niederländer hätten nach dem Treffer aufgehört zu spielen: “Da haben wir zurückgebissen.”
Es dauerte bis zur 25. Minute, als Bernd Hölzenbein im Strafraum zu Fall kam. Ob es ein Elfmeter war oder eine Schwalbe, darüber streiten die Experten; aber der Pfiff ertönte. Dem ZDF erzählte Breitner Jahre später, er habe eigentlich nur den Ball holen wollen. Als er dann in Richtung Strafraum ging, habe es in ihm gearbeitet: “Was tust du jetzt? Wem gibst du den Ball? Es will ihn keiner haben. Mach’s doch selbst.”
So legte sich der damals 22-Jährige mit der Nummer 3 den Ball hin. Da kam Wolfgang Overath zu ihm und fragte: “Paul, willst du jetzt wirklich schießen?” Da soll der Bayer zu ihm gesagt haben: “Das siehst doch. Den haue ich jetzt rein. Und jetzt schleich dich, hau ab.” Und drin war er – Ausgleich.
Verteidiger Berti Vogts arbeitete sich das ganze Spiel über an Cruyff ab. Wie ein Schatten hing er an dem Superstar und ließ nicht von ihm ab. Das hatte er im Training mit Günther Netzer als Gegenpart eingeübt. Noch lange danach schrien die Fans: “Berti hat den Cruyff vernascht.” Der Spitzname “Terrier” blieb ihm erhalten.
Kurz vor dem Ende der ersten Halbzeit kam auf einmal Rainer Bonhof rechts an den Ball und flankte in die Mitte des Strafraums. Dort stand Gerd Müller auf dem linken Fuß, drehte sich blitzschnell und machte in der 43. Minute mit dem rechten Fuß das 2:1. Ab da war der Bann gebrochen. Ab da soll, wie es heißt, durch die deutsche Elf das Bewusstsein gegangen sein: Wir schaffen das! Oder, wie die bayerische Torwartlegende schreibt: “In der zweiten Halbzeit habe ich der staunenden Fußballwelt gezeigt, was den Josef Dieter Maier aus Metten zum Sepp Maier gemacht hat.”
Seine Vorderleute Franz, Berti, Katsche (Hans-Georg Schwarzenbeck), Paule, aber auch das Mittelfeld und die Stürmer lieferten den wütend anrennenden Niederländern eine regelrechte Abwehrschlacht. Als die letzten neun Minuten anbrachen, schienen sie wie neun Ewigkeiten zu dauern. Um 17.47 Uhr dann der ersehnte Schlusspfiff: Deutschland war zum zweiten Mal Weltmeister! Auf der Tribüne des Olympiastadions nahm die Mannschaft mit Trainer Helmut Schön den Pokal entgegen.