“Norderney – meine Insel” lautet der aktuelle Claim des zweitgrößten Eilands der Ostfriesischen Inseln in der Nordsee. Die Anfänge des Tourismus gehen zurück auf Preußenkönig Friedrich Wilhelm II.
“Eine kleine Insel auf der Küste von Ost-Friesland, darzu sie auch gehöret.” So lautet der Eintrag zu “Norderney” in Johann Heinrich Zedlers “Universal-Lexicon”. “Es wohnen etwan 50 Familien von Schiffern und Fischern darauf.” Viel los war Anfang des 18. Jahrhunderts also nicht auf der zweitgrößten der Ostfriesischen Inseln. Das hat sich gewaltig geändert. Im vergangenen Jahr übernachten rund 580.000 Gäste auf Norderney; dazu kamen 219.000 Tagesgäste.
Angefangen hat das alles am 3. Oktober 1797. Damals genehmigte die Kriegs- und Domänenkammer von Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. den ostfriesischen Landständen, das rund 26 Quadratkilometer große Eiland zur ersten Seebadeanstalt an der deutschen Nordseeküste zu machen. Vor 225 Jahren, am 15. Mai 1800, entschlossen sich die Landstände dann, das Seebad offiziell zu gründen und ein hölzernes Gesellschaftshaus zu errichten. “Die Fertigstellung erfolgte allerdings erst im September, also nach der ersten Badesaison”, sagt der Leiter des Stadtarchivs Norderney, Matthias Pausch. Eine Eröffnungsfeier gab es laut Pausch nicht. “Vieles wurde ad hoc geregelt.”
An der Ostsee hatte Heiligendamm bereits sieben Jahre zuvor den Zuschlag erhalten. Beinahe hätte Norderney das Nachsehen gegenüber Juist gehabt. Dort hatte der evangelische Inselpastor Otto Christoph Janus bereits 1783 Anstalten gemacht, ein Seebad einzurichten, erhielt aber keinen positiven Bescheid des preußischen Königs.
Der Trend zum Seebad war von Frankreich und Dänemark, vor allem aber von Großbritannien nach Deutschland geschwappt. In Scarborough und Ramsgate traf sich die High Society; Ärzte empfahlen den Aufenthalt in Küstenorten oder auf Inseln und schwärmten vom “wohltätigen Einfluss” auf die Gesundheit. Norderney erwischte allerdings einen etwas holprigen Start: Als der französische Herrscher Napoleon Europa mit Krieg überzog, war an gepflegten Kurbetrieb kein Denken. Nach dem Ende der französischen Besatzung 1813 wurde das Seebad 1814 zur neuen Badesaison wiedereröffnet.
Norderney wurde 1815 auf dem Wiener Kongress dem Königreich Hannover zugeschlagen. Dessen späterer König Georg V. adelte die Insel, indem er sie nach seiner Thronbesteigung 1851 zeitweilig zur Sommerresidenz erhob. Die landschaftlichen Reize konnte der bereits in jungen Jahren erblindete Monarch bestenfalls erahnen. Aber von der “Meereslust” ließ er sich ebenso erfassen wie Wilhelm von Humboldt oder Robert und Clara Schumann. Ab 1822 stand den Gästen ein Spielcasino offen.
Das “Bad höherer Klasse” registrierte 1877 bei gerade mal 2.084 Einwohnern 6.374 Kurgäste. Darunter befanden sich auch viele jüdische Bürger. Die erste koschere Küche öffnete schon 1840; eine Synagoge kam 1878 dazu. “Zum besonderen Flair Norderneys gehörte nicht nur die Präsenz von Juden im Alltag der Insel, sondern auch deren weitgehende Integration in die lokale Gesellschaft”, hält der Historiker Frank Bajohr fest. Manch einem gefiel das gar nicht. Der Schriftsteller Theodor Fontane lobte die ortsansässige Bevölkerung als “kräftige, tüchtige, urgermanische Menschen” über den grünen Klee. Zugleich ätzte er über die jüdischen Gäste, die sich mit “ihren frechen, unschönen Gaunergesichtern” dem Besucher überall “aufdrängten”.
Hier zeigte sich die hässliche Fratze des sogenannten “Bäder-Antisemitismus” – und doch bleibt erstaunlich, wie schnell sich auf der als ebenso mondän wie liberal geltenden Insel mit Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 das Blatt wendete. “Nordseebad Norderney ist judenfrei”, lautete die Parole der Kurverwaltung. In Lokalen brachten die Wirtsleute Schilder an: “Die deutsche Frau tanzt mit keinem Juden!”
Offenbar wollte man das Image des “Judenbades” durch “demonstrative antisemitische Aktionen” loswerden, wie Bajohr schreibt. Aufgrund zunehmender Repressalien hatten 1941 auch so gut wie alle jüdischen Einwohner die Insel verlassen. Bereits seit 1933 fanden in der Synagoge keine Gottesdienste mehr statt, die Kultgeräte wurden von dem zuständigen Rabbiner Samuel Blum nach Emden überführt, das Gebäude 1938 verkauft