Eine blutjunge angehende Ordensfrau entdeckt die katastrophalen Zustände in einem KZ – und wird aktiv. Über eine bescheidene Heldin, die Tiefschnee und Todesgefahr trotzte.
20 Jahre jung ist Josefa Mack, später Schwester Maria Imma, als sie 1944 zum ersten Mal ins Konzentrationslager Dachau fährt. Ihr Auftrag: für das Kloster der Armen Schulschwestern in München-Freising Blumen in der Lagergärtnerei einzukaufen.
Noch weiß sie nicht, dass sich ihr damit eine Aufgabe stellt, die sie sich nicht einmal im Traum hätte ausmalen können: “Ich durfte vielen Häftlingen im KZ Dachau, von dem ich bis dahin kaum eine Ahnung hatte, unter großen Schwierigkeiten und Gefahren ein wenig Trost und Hilfe bringen.” So erinnerte sich Schwester Maria Imma rund 40 Jahre später in ihren Memoiren “Warum ich Azaleen liebe”.
Ihre Erlebnisse, um die sie bis zu ihrem Tod 2006 wenig Aufhebens machte, schrieb sie auf Wunsch des Münchner Kardinals Friedrich Wetter nieder. Häftlinge auf der Plantage hatten ihr als Gruß für ihre Mutter Azaleen geschenkt, bevor sie in den Ferien nach Hause fuhr.
Geboren wird Josefa Mack am 10. Februar 1924 in einem bayerischen Dorf zwischen Eichstätt und Ingolstadt. Der Vater ist Zimmermann, die Mutter Hausfrau. Die neunjährige Josefa feiert ihre Erstkommunion 1933, als Hitler an die Macht kommt. Auf einem Schwarz-Weiß-Bild ist sie in edlem weißen Spitzenkleid zu sehen, mit weißem Blumenkranz um den Kopf und einer großen dekorierten Kerze in der Hand; schmunzelnd und mit wachem Blick schaut sie in die Kamera.
Als Drittklässlerin muss Mack in der Schule einer Hitler-Rede im Rundfunk lauschen. Der “schreienden, sich überschlagenden Stimme zuhören zu müssen”, sei für sie ein Alptraum gewesen. Und eine Begegnung mit einer jüdischen Person – der freundlichen Betreiberin des Eichstätter Kaufhauses Guttentag – ist es, weshalb sie “das grausame Leid, das in der Hitlerzeit über die Juden hereinbrach”, so getroffen habe.
Zur Zeit ihres ersten Besuchs im KZ Dachau arbeitet Mack als Helferin im Kinderheim des Ordens in Freising, lebt bereits als Klosterkandidatin in Sankt Klara. Eines Tages kommt ein im Kloster bekannter Brunnenbauer zu Besuch. Er berichtet von den Häftlingen, mit denen er zusammenarbeitet, und davon, dass die Klosterschwestern schon länger Brot für diese mitgeben. Die Oberin beauftragt sie, gemeinsam mit dem Mann ins KZ zu fahren.
An den Maitag ihres ersten Besuchs erinnert sich Mack auch Jahrzehnte später noch im Detail. Über die “Straße der SS” mit Villen der SS-Führungskräfte, reich geschmückt mit Blumen der Plantage, führt ihr Weg weiter auf einem holprigen Fußweg an den Baracken der Häftlinge vorbei. Der erste Schock widerfährt der jungen Frau, als sie dort einen riesigen Haufen alter Schuhe erblickt und ihr ein “furchtbarer Gestank” in die Nase steigt. Der zweite, als sie kurz darauf an Hunderten kahlgeschorener Männer in gestreifter Lagerkluft beim Zählappell vorbeikommt. “Alle starrten uns an, als wären wir Wesen aus einer anderen Welt”.
In der Verkaufsstelle der von den Häftlingen angepflanzten Blumen und Nutzpflanzen trifft das Mädchen auf einen jungen Priester. Zunächst misstrauisch und unfreundlich, fasst Ferdinand Schönwälder Vertrauen, als er ihre guten Absichten erkennt. Er berichtet ihr vom Hunger, den Strafen und der allgemeinen Not im Lager; er bittet sie, wiederzukommen und Hostien und Messwein mitzubringen, damit polnische Priesterkameraden heimlich die Messe zelebrieren können. Er nennt sie “Mädi” – ein Deckname zu ihrem eigenen Schutz.
Mack schreibt später, “wie eine Traumwandlerin” sei sie durch die nächsten Tage gegangen. Die Schwestern im Kloster teilen ihr Erschrecken und ihre Trauer und bestärken sie darin, ihre geheime Hilfsaktion fortzusetzen.
Ab da fährt sie fast jede Woche ins KZ. Nachdem wegen eines Bombenalarms einmal ihre Zugstrecke unterbrochen ist, beschließt sie, von nun an einen Großteil der Strecke mit dem Fahrrad zu fahren. In dieser Zeit versorgt sie inhaftierte Priester mit Kirchendingen und Lebensmitteln. Als Typhus im Lager ausbricht, schwärmen auf “Mädis” Geheiß hin die Schwestern des Klosters aus, um Medikamente zu kaufen. Ab diesem Tag schmuggelt sie regelmäßig auch diese ins KZ.
Als Anfang 1945 hoher Schnee liegt und Josefa Mack sich nicht mit dem Rad fortbewegen kann, legt sie den Weg vom Zug zum KZ kurzerhand mit dem Schlitten zurück. Im Verlauf des Winters organisiert sie auch die nötigen Kirchenformulare und liturgischen Geräte für eine heimliche Priesterweihe im Lager. Wichtig ist ihre Rolle zudem als Überbringerin von Briefen der Häftlinge – obwohl sie weiß, dass darauf die Todesstrafe steht.
Was motiviert eine junge Frau trotz Lebensgefahr zu solchen Aktionen? Als Kind habe sie alte Märtyrerlegenden verschlungen. Besonders beeindruckt gewesen sei sie von der gegenseitigen Hilfe dieser Christen, die “keine Rücksichtnahme auf sich selbst kannten”. Doch auch ihr Elternhaus formt ihre politische Einstellung. Als Zehnjährige lauscht sie abends hellwach den besorgten und kritischen Unterhaltungen der Eltern.
Die 1988 erschienenen Erinnerungen der Ordensschwester zeugen nicht nur von großem Mitgefühl für das Leid der KZ-Insassen. Sie zeichnen das Bild eines mutigen und zugleich sensiblen Mädchens, das sich – anders als der Großteil der deutschen Bevölkerung – direkt angesprochen fühlt, als es von der Unterdrückung und Ermordung ihrer Mitmenschen erfährt. Ihre Anteilnahme und Sympathie gegenüber den Häftlingen beruht auf Gegenseitigkeit. Dem verleihen sie Ausdruck durch kleine Geschenke, etwa durch ein “liebevoll gebundenes Adventskränzlein”.
1986 bekam Schwester Maria Imma Mack den Bayerischen Verdienstorden. 2004 wurde sie als Ritterin in die französische Ehrenlegion aufgenommen. Unter den Häftlingen, denen sie geholfen hatte, waren viele aus Frankreich gewesen. Weitere Auszeichnungen folgten.
Das war aber kein Grund, überheblich zu werden. Die Armen Schulschwestern schreiben auf ihrer Internetseite: “Wer sie noch kennenlernen durfte, der erlebte eine einfache, liebenswürdige und lebensfrohe Ordensfrau, die ihr Leben lang für Menschen ein offenes Herz und offene Ohren hatte.” Am 21. Juni 2006 starb sie nach längerer Krankheit im Kloster in München.