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Von guten und schlechten Hirten

Über den Predigttext zum Sonntag Misericordias Domini: Hesekiel 34,1-2.11-16.31

Predigttext
1 Das Wort des Herrn kam zu mir: 2 Du Mensch, rede als Prophet zu den Hirten von Israel. Ja, rede als Prophet und sag zu ihnen, den Hirten: So spricht Gott, der Herr! Ihr Hirten von Israel, ihr weidet euch ja selbst. Weiden Hirten sonst nicht die Schafe? (…) 11 Ja, so spricht Gott, der Herr: Seht her, ich werde meine Schafe suchen und mich selbst um sie kümmern. 12 Ich mache es genauso wie ein guter Hirte, wenn seine Schafe sich eines Tages zerstreuen. Ja, so werde ich mich um meine Schafe kümmern. Ich rette sie von allen Orten, an die sie zerstreut waren – an dem Tag, der voll finsterer Wolken sein wird. 13 Ich führe sie weg von den Völkern und sammle sie aus den Ländern. Ich bringe sie zurück in ihr eigenes Land. Ich werde sie auf den Bergen und Tälern Israels weiden, an allen Weideplätzen des Landes. 14 Ihr Weideland wird auf den hohen Bergen Israels liegen. Ja, ich lasse sie dort auf gutem Weideland lagern. Auf den Bergen Israels finden sie eine grüne Weide. 15 Ich weide meine Schafe und ich lasse sie lagern. – So lautet der Ausspruch von Gott, dem Herrn. 16 Verirrte suche ich und Verstreute sammle ich wieder ein. Verletzte verbinde ich und Kranke mache ich stark. Fette und Starke aber vernichte ich. Ich weide sie nach Recht und Gesetz. (…) 31 Ihr seid meine Herde! Ihr Menschen, ihr seid die Herde auf meiner Weide, und ich bin euer Gott!
So lautet der Ausspruch von Gott, dem Herrn. (Basisbibel)

Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde.“ (Lukas 2,8)

Was für ein schönes Bild jedes Jahr an Heiligabend in meinem Kopf entsteht: Ein paar Menschen sitzen um ein Feuer. Eingepackt in ihre Mäntel, die Stäbe griffbereit neben sich am Boden liegend.

Um sie herum im Licht des Feuers erkennt man schemenhaft die Schafe. Ruhig kauend oder dösend. Über allem der Sternenhimmel. Man hört nur das Knistern des Feuers, hin und wieder ein leises Blöken und ruhige Gespräche.

Friedlich. So stelle ich mir diese Szene vor, kurz bevor der Engel die Hirten beinahe zu Tode erschreckt und zu ihnen spricht: „Fürchtet euch nicht!“

Schrecklich. So stelle ich mir die Szenen vor, die Gott und der Prophet Hesekiel vor Augen haben: Schafe irren durch die Gegend. Ihre Augen vor Schreck geweitet. Einige sind verletzt und humpeln langsam vorwärts. Einige blöken laut, weil sie Mitglieder ihrer Herde vermissen. Hirten sind nicht zu sehen.

Man findet sie weit entfernt. Über ihrem Feuer gart Fleisch. Das Blöken der Schafe verhallt in der Ferne. Man hört das Knistern von Feuer und das Zischen von Fett, das darauf tropft. Und das selbstzufriedene Schmatzen der Hirten.

Zwei Szenen, zwei Arten von Hirten: Am Anfang gute Hirten. Sie kümmern sich um ihre Herde. Die Schafe sind ruhig und zufrieden.

Und dann schlechte Hirten. Ihre Schutzbefohlenen sind auseinandergetrieben, ohne Schutz. Ja, schlimmer noch: Die Hirten nutzen sie aus: für Fleisch, Fett und Kleidung aus Wolle.

Zwei Szenen, zwei Arten von Schafen: Die in der ersten Szene sind echt. Es sind die Tiere mit den vier Beinen und der Wolle gemeint. Die in der zweiten Szene sind nicht echt. Eigentlich geht es um Menschen, die auf andere Menschen angewiesen sind. Auf Anführer, Beschützer, Kümmerer.

Bestimmt fallen Ihnen sofort Menschen ein, die gute Hirten abgeben: die Verantwortung übernehmen, sich selbst nicht an erste Stelle setzen. Die viel Kraft und Zeit für andere geben.

Und bestimmt fallen Ihnen auch sofort Menschen ein, die schlechte Hirten abgeben: die Verantwortung nur übernehmen, um für sich selbst das Beste daraus zu ziehen. Die in Krisenzeiten Geld mit dem Leid anderer Menschen verdienen. Die Vorteile für sich selbst aus der Pandemie ziehen. Ohne darauf zu achten, wie es ihren „Schafen“ dabei geht.

Und wie sieht das bei Ihnen aus?

Wenn ich über mein Leben mit anderen Menschen nachdenke, fallen mir sofort Situationen ein, in denen ich eher Schaf bin. Und Situationen, in denen ich eher Hirtin bin.

Wie bin ich als Hirtin? Wie geht es den Kindern, auf die ich aufpasse? Den Freunden, die ich in Krisen nicht allein lasse?

Geht es mir als Hirtin um die „Schafe“ oder geht es mir darum, dass ich gut dastehe?
Im Predigttext geht Gott mit den schlechten Hirten hart ins Gericht. Er nimmt ihnen ihre Verantwortung und Macht weg, weil sie nicht damit umgehen können.

Er ist dabei hart und weich zugleich: Hart gegenüber der Ungerechtigkeit. Und weich gegenüber seiner Herde. Denn auch wenn die Hirten versagen, ist er noch da, um die Herde aufzufangen. Er wird alles zurechtrücken, für Frieden sorgen. So einen Frieden, wie man ihn in der ersten Szene erahnen kann.

Und wir? Wir haben das im Hinterkopf, wenn wir unsere Leben mit Gottes Hilfe führen. Manchmal als Schaf und manchmal als Hirte.

Und ich glaube: Wenn wir in unserer Zeit als Hirten zwischendurch mal unsere Hirtenstäbe weg- und den Mantel ablegen und uns ganz genau betrachten, dann fällt uns auf: Eigentlich sind wir auch dann nur Schafe auf zwei Beinen.