Bunt sieht es aus in den zwölf Drehvitrinen, in denen Mundharmonikas der unterschiedlichsten Art liegen: Eine Tango-Mundharmonika, Wildwest-Modelle ebenso wie eine „Uncle Sam Harp“ für die USA und Zeppelinmodelle in Mundharmonika-Form. Diese Exponate im Deutschen Harmonikamuseum in Trossingen (Landkreis Tuttlingen) lassen erahnen, wie die Harmonikaindustrie in Deutschland damals den internationalen Markt beherrschte.
„Allein die Firma Hohner produzierte bereits im Jahr 1887 über eine Million Mundharmonikas“, erklärt Museumsdirektor Salvatore Martinelli und zeigt auf das erste Werbeplakat der Firma, das nicht auf Deutsch, sondern auf Englisch die handlichen Instrumente anpreist: „98 Prozent der Produktion ging damals in die USA.“ Instrumentespielen sei um 1870 in Amerika eine Angelegenheit für wohlhabende Leute gewesen. Das „Taschenklavier“ habe dies geändert.
Auch für Soldaten wurde die Mundharmonika zum „musikalischen Seelentröster“ – oder sogar zum Lebensretter: „Belegt ist, dass mindestens 14 Soldaten überlebt haben, weil sie eine Mundharmonika in ihrer Brusttasche trugen“, sagt Historiker Martinelli. Ein Exponat ist die zerschossene Mundharmonika „Schwabentreue“ des Göppinger Soldaten Hermann Weiss, der im Ersten Weltkrieg an der Westfront kämpfte. Ein Granatsplitter schlug in seiner linken Brusttasche ein und blieb im Korpus der „Mundharfe“ stecken. Höchstwahrscheinlich wäre er ohne seine Mundharmonika umgekommen.
Auf einem Podest werden Maschinen und Werkzeuge für die Mundharmonikafertigung gezeigt, deren Abfolge der Produktion sich seit 1880 kaum verändert hat. 1903 beginnen die Trossinger Firmen Hohner und Koch zusätzlich mit der Fabrikation von Handharmonikas.
Zu sehen ist in der Dauerausstellung das größte spielbare Knopfgriffakkordeon der Welt. Es wurde 1953 gefertigt, ist 1,23 Meter hoch und 22 Kilogramm schwer und muss von drei Personen gleichzeitig gespielt werden. Ebenso wird die kleinste Mundharmonika der Welt, die „Little Lady“ mit 3,7 Zentimetern gezeigt. Diese wurde von Kapitän Walter Schirra an Bord des Raumschiffes Gemini VI geschmuggelt und erklang als erstes Instrument im Weltall. Der Kapitän spielte am 16. Dezember 1965 darauf als Scherz das bekannte Weihnachtslied „Jingle Bells“ und ließ das Lied per Funkverkehr zur Bodenstation nach Houston übertragen, nachdem er ein „fremdes Objekt“ gemeldet hatte.
Das Deutsche Harmonikamuseum liegt mitten im historischen Hohnerareal. Ab 1929 dominierte die Matthias Hohner AG den Weltmarkt, nachdem sie die größten Konkurrenten aufgekauft hatte. Im Jahre 1923 wurden weltweit insgesamt 50 Millionen Mundharmonikas produziert, die Hälfte davon in Trossingen. 1939 hatte Hohner 5.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – eine Zahl, die die Firma nie wieder erreichen sollte.
Eine sinkende Nachfrage führte ab 1957 dazu, dass die Firma in eine Krise kam. Auch innovative Erfindungen, wie elektronische Tasteninstrumente, also Vorläufer von Keyboards, wurden nicht wie erwünscht angenommen. „Hohner war da wohl seiner Zeit voraus“, so Martinelli. Als die Krise ihren Höhepunkt erreichte, kaufte 1987 das Land Baden-Württemberg die historische Sammlung der Firma Hohner auf, um sie zu sichern. Diese mehr als 25.000 Instrumente, Kataloge und Dokumente sind die Grundlage für das heutige Museum.
Heute arbeiten bei Hohner etwa 120 Angestellte. Die Trossinger Firma gehört nun zur HS Investment Group, die taiwanesische Investoren vertritt. Hohner produziert aber nach eigenen Angaben den größten Teil der Mundharmonikas und Akkordeons noch in Deutschland und ist in diesem Bereich Weltmarktführer geblieben.
Dass Trossingen noch immer ein Mundharmonika-Zentrum ist, zeigt auch das „10. World Harmonica Festival“, das derzeit stattfindet: Vom 29. Oktober bis zum 2. November nehmen etwa 1.000 Besucher aus Ländern wie Japan, den USA, Südkorea, Spanien und Frankreich an Wettbewerben, Konzerten und Workshops teil. Das Festival findet alle vier Jahre statt und ist ein Treffpunkt für die besten Spieler weltweit. Hier wird auch traditionell in verschiedenen Kategorien ein „Weltmeister“ gekürt.
Mundharmonika ist also immer noch in. Und feierte im Rock- und Popbereich ein Comeback: So spielten etwa Bob Dylan ebenso wie die Popsängerin Shakira und Bono von der irischen Rockband „U2“ schon auf dem handlichen Instrument. (2757/30.10.2025)