Bis zu 1,3 Millionen Krankenhausaufenthalte von Pflegebedürftigen wären jährlich vermeidbar, glaubt die Barmer. Allerdings nur, wenn die medizinische Versorgung in Pflegeheimen und häuslicher Pflege sich ändert.
Vielen pflegebedürftigen Menschen in Deutschland könnten Krankenhausaufenthalte erspart bleiben oder verkürzt werden, wenn ihre Versorgung im Alltag besser organisiert würde. Das geht aus dem neuen Pflegereport der Krankenkasse Barmer hervor, der am Dienstag in Berlin veröffentlicht wurde.
Fest steht: Die Krankenhäuser werden immer häufiger mit dem Problem der Pflegebedürtigkeit konfrontiert. Der Anteil der Pflegebedürftigen an den Patienten ist deutlich gestiegen. Zudem bleiben Pflegebedürftige im Schnitt deutlich länger in der Klinik als Menschen, die nicht pflegebedürftig sind. Auch das ließe sich teilweise verhindern, so die Barmer.
Dem Report zufolge ist der Anteil der Krankenhauspatienten, die bereits vor ihrem stationären Aufenthalt pflegebedürftig waren, zwischen 2017 und 2022 von 17,4 Prozent auf 25,3 Prozent gestiegen. Rund 275.000 Menschen beziehungsweise 1,9 Prozent der Krankenhausfälle wurden unmittelbar im Anschluss an die stationäre Behandlung pflegebedürftig – entweder, weil ihre Pflegebedürftigkeit in der Klinik erkannt wurde oder weil sich ihr Zustand, etwa durch Krebsoperationen, verschlechterte.
Für viele Patienten ist ein Krankenhausaufenthalt ein gravierender Einschnitt. “Wer schon pflegebedürftig ins Krankenhaus kommt, verlässt es praktisch nie mit einem niedrigeren Pflegegrad”, heißt es im Pflegereport. “Stattdessen zeigt sich das ganze Ausmaß der Krankheitsschwere darin, dass zehn Prozent dieser Menschen innerhalb eines Monats nach ihrem Krankenhausaufenthalt versterben.”
Um so wichtiger wäre es, Krankenhausphasen für Pflegebedürftige zu verringern. Aus Sicht der Barmer wären bis zu 1,3 Millionen Krankenhausaufenthalte bei Pflegebedürftigen jährlich potenziell vermeidbar, wenn Patientinnen und Patienten im Vorfeld besser versorgt würden oder nach einem Krankenhausaufenthalt schneller in andere Hilfsstrukturen überführt werden könnten.
Studienautor Heinz Rothgang von der Uni Bremen verweist darauf, dass es häufig gut behandelbare chronische Erkrankungen wie Herzinsuffizienz oder Diabetes mellitus seien, die unnötigerweise zu einem Krankenhausaufenthalt führten. Viele Pflegebedürftige würden auch wegen akuter Austrocknung stationär behandelt. Auch das ließe sich jedoch deutlich verringern.
Um dieses Ziel zu erreichen, sieht die Barmer verschiedene Stellschrauben: Der Vorstandsvorsitzende Christoph Straub forderte am Dienstag eine übergreifende Zusammenarbeit von unterschiedlichen Gesundheitsberufen, Arztpraxen und Pflegediensten. So könnten vor allem die Menschen in dünn besiedelten Gebieten in ihren eigenen vier Wänden wirksamer versorgt werden und müssten erst gar nicht ins Krankenhaus.
Für wenig realistisch hält das die Deutschen Stiftung Patientenschutz: Denn in der Realität erlebten Pflegebedürftige, dass die ambulante medizinische Versorgung abgebaut werde, sagte Vorstand Eugen Brysch. Niedergelassene Ärzte führten immer weniger Hausbesuche durch. Zudem stehe der schon jetzt mangelhafte mobile Bereitschaftsdienst vor dem Zusammenbruch.
Auch eine Stärkung der Kurzzeitpflege wäre aus Sicht der Krankenkasse ein wichtiger Schritt, um Krankenhausaufenthalte von Pflegebedürftigen zu verkürzen: Denn vielfach verlängert sich die Krankenhauszeit um mehrere Tage, weil nicht klar ist, wie es für den Patienten weitergeht – weil die Pflege von Angehörigen zuhause erst organisiert oder weil ein ambulanter Betreuungsdienst, Betreutes Wohnen oder ein Pflegeheim gefunden werden muss. Die Barmer schlägt deshalb vor, dass die Kliniken die Kranken- und Pflegekassen regelhaft informieren, sobald klar sei, wann ein Patient entlassen werde. Möglich wäre dies im Rahmen des digitalen Datenaustauschs.
Aus Sicht von Rothgang ist die Kurzzeitpflege eine entscheidende Überbrückungshilfe. Allerdings zeigt die Studie, dass in den Jahren von 2017 bis 2021 die Zahl der Anbieter von Kurzzeitpflege deutschlandweit leicht zurückging, während zum Beispiel die der Tagespflege um ein Drittel anstieg. Offenbar gebe es in der Organisation der Pflege noch Fehlsteuerungen, bilanziert der Report. Das Verhältnis der Versorgungsarten müsse neu justiert werden.