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Verkohlte Textrolle gibt ihr Geheimnis preis

Erst jetzt konnten Forscher dank modernster Technologie einen Bibelfund vom Toten Meer lesbar machen

In Höhlen am Toten Meer wurden 1947 die so genannten Rollen vom Toten Meer entdeckt, hunderte schriftliche Dokumente aus der Zeit der Zerstörung des Tempels von Jerusalem durch die Römer im Jahr 70 nach Christus. Unter den 2 000 Jahre alten Schriftrollen auf Pergament und Papyrus befanden sich auch zahlreiche Kopien biblischer Texte. Für die Bibelforschung waren diese Funde eine Revolution. Sie bestätigten die Echtheit der Überlieferung der hebräischen Texte des Alten Testaments.

Danach gab es ein fast tausendjähriges „Loch“ in der Geschichte. Denn die nächste bekannte hebräische Bibelabschrift war der sogenannte Aleppo-Kodex, auch „Krone aus Aram Zuba (Aleppo)“ genannt. Der berühmte jüdische Gelehrte Maimonides bestätigte die Echtheit dieser Bibelabschrift aus dem 10. Jahrhundert. Doch aus der Zeit der 1 000 Jahre zwischen den Rollen vom Toten Meer und dem Aleppo-Kodex fehlen jegliche Abschriften des Originals der hebräischen Bibel. Nach der Zerstörung des Tempels im Jahr 70 und der Zerschlagung jüdischer Aufstände waren die Juden in alle Welt verstreut. Sie pflegten und hüteten offensichtlich ihre heiligen Schriften, aber nichts blieb erhalten.

Loch in der Geschichte

Erstmals konnten jetzt Forscher der Israelischen Altertumsbehörde, darunter Pnina Schor, ein „fehlendes Glied“ entdecken. Sie stellten es bei einer Pressekonferenz in den Räumen der Restaurierungslabors im Israel Museum in Jerusalem vor. In Ein Gedi am Toten Meer legten Archäologen 1970 einen Mosaikboden der im 7. Jahrhundert zerstörten Synagoge frei. Wo einst der Torahschrank gestanden hat, stießen sie auf unförmige Klumpen aus Asche. Diese wurden eingesammelt und in Labors der Hebräischen Universität eingelagert. Weil es sich bei den Klumpen um zerbröselnde Asche handelte, konnte der Fund weder konserviert noch geöffnet oder entziffert werden. Denn es war klar, dass es sich um verkohlte Torahrollen handelte.
Vor etwa einem Jahr kamen Forscher der Altertumsbehörde auf die Idee, die Klumpen einem Krankenhaus zu übergeben, um sie mit einem medizinischen Scanner zu durchleuchten, wo sonst menschliche Gehirne scheibchenweise fotografiert werden. Dann meldete sich die israelische Gesellschaft „Merkel Technologies“. Die wollte mit ihrem Mikroscanner die Klumpen erneut durchleuchten.
Die Scans wurden an Professor Brent Seales in Kentucky geschickt. Zusammen mit acht Studenten hatte er eine Methode entwickelt, mit den digitalen Bildern die eingescannte Rolle virtuell zu öffnen und visualisieren. Weil Seales, bei der Pressekonferenz per Skype zugeschaltet, kein Hebräisch versteht und nur Computerexperte ist, ging das Ergebnis seiner Arbeit per E-Mail zurück nach Jerusalem. Pnina Schor spannte ihren Mann ein. Der entdeckte plötzlich hebräische Buchstaben. Mit Hilfe einer Konkordanz ermittelte er die Herkunft der entzifferbaren Zeilen: 3. Mose 1,1-8.

Verkohlte Textrolle lesbar gemacht

Für Pnina Schor und die übrigen freiwilligen Mitarbeiter aus Israel und den USA war das eine Sensation. Die Aufregung war auch bei der eiligst einberufenen Pressekonferenz zu spüren. Der Entdecker der Synagoge, Sefi Porath, erzählte, dass Ein Gedi im 7. Jahrhundert völlig zerstört worden sei. Die Bewohner seien niemals zurückgekehrt, um nach Wertsachen zu suchen. Deshalb hätten die Archäologen in den Trümmern einen siebenarmigen Leuchter gefunden, wie es ihn im Jerusalemer Tempel gegeben habe, sowie eine Spendenbüchse mit 3 500 Münzen. Warum die Gemeinde vermutlich von Beduinen zerstört worden war, konnte nie ermittelt werden.
Pnina Schor ließ die verkohlte Torahrolle mit der C14-Methode datieren. Sie stammte einwandfrei aus dem 6. Jahrhundert. Und deshalb handelte es sich um einen der wichtigsten archäologischen Funde der vergangenen Jahrzehnte. Dank modernster Technologie konnten bisher acht Verse aus dem biblischen Buch Levitikus entziffert werden. Jetzt müssten große Summen gesammelt werden, um mit kommerziellen Scannern und internationalen Helfern weitere „Schichten“ des winzigen verkohlten Klumpens virtuell zu „entrollen“ und die darin noch enthaltenen Texte lesbar zu machen.