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Vatikan-Beschluss: Reaktionen von “Durchbruch” bis “unzureichend”

Viele hätten nicht für möglich gehalten, was vom Vatikan verkündet wurde: Homosexuelle und wiederverheiratete Paare dürfen gesegnet werden – allerdings nicht in einem Gottesdienst. Die Reaktionen.

Seit Jahren demonstrieren die Frauen von Maria 2.0 für Reformen in der katholischen Kirche
Seit Jahren demonstrieren die Frauen von Maria 2.0 für Reformen in der katholischen Kircheepd-bild/ Tim Wegner

Der Beschluss des Vatikans, eine Segnung homosexueller und wiederverheirateter Paare zu ermöglichen, hat vielfältige Reaktionen ausgelöst. Der Bischof von Dresden-Meißen, Heinrich Timmerevers, zeigte sich “sehr froh und sehr überrascht” über die Entscheidung. “Das hat es noch nicht gegeben in der Geschichte der Kirche, diesen Meilenstein, den der Papst jetzt hier ermöglicht”, sagte er im ARD-Morgenmagazin.

Er räumte “ein Stückchen Schuld” der Kirche ein, “dass wir durch unsere Morallehre nicht nur Menschen zusammengeführt haben, sondern auch Menschen ausgegrenzt haben”. Das Papier des Dikasteriums für die Glaubenslehre ermögliche nun “einen wirklichen ersten Schritt”, die betroffenen Paare “in die Kirche hineinzunehmen und ihnen zu sagen, die Kirche ist für alle offen“, so Timmerevers.

Heinrich Timmerevers: “Papst Franziskus stößt Prozesse an”

Auch wenn viele gleichgeschlechtliche Paare dadurch noch nicht die erwünschte Akzeptanz durch die Kirche erführen, sei man jetzt “auf einem Weg, der uns weiterführen wird, und wer weiß was in 10, 15 Jahren ist”. Man könne nicht mit einem Federstrich wegschieben, was die Kirche über Jahrhunderte gelehrt habe. “Papst Franziskus stößt Prozesse an, und ich glaube, ein solcher Prozess ist jetzt möglich”, so der Bischof.

Vielleicht habe auch der deutsche Reformprozesses Synodaler Weg zum Zustandekommen des Papiers beigetragen, der sich seit Jahren für die Segnung homosexueller Paare einsetzt. “Ich glaube, es ist nicht nur ein Weihnachtsgeschenk, es ist mehr als das”, sagte Timmerevers.

Maria 2.0 spricht von unzureichenden Schritt in Richtung Gleichberechtigung

Die Initiative Maria 2.0 nannte die Entscheidung des Vatikans einen “erste(n) kleine(n), aber absolut unzureichende(n) Schritt in Richtung Gleichberechtigung und echter Inklusion”. Die Maßnahme zeige zwar eine gewisse lange überfällige Öffnung, doch würden “die tiefergehenden strukturellen Probleme und Diskriminierungen innerhalb der katholischen Kirche” damit keineswegs angemessen behandelt. Schon die Unterscheidung in “irreguläre und reguläre Partnerschaften” stelle weiterhin eine gravierende Form der Diskriminierung dar und widerspreche den Menschenrechten, so Maria 2.0.

“Es ist unfassbar, dass immer noch postuliert wird, dass es zwar laut geltender katholischer Lehre keine Sünde ist, homosexuell zu empfinden, aber gleichgeschlechtliche Handlungen nach wie vor nicht ‘in Ordnung sind'”, so die Reformbewegung. Die Kirche müsse nicht nur ihre Haltung gegenüber homosexuellen Paaren, sondern auch mit Blick auf die Gleichberechtigung der Frauen verändern, forderte die Initiative.

Wolfgang Rothe: “Ein ziemlicher Durchbruch”

Der Münchner katholische Priester Wolfgang Rothe sprach im “WDR-5-Morgenecho” von einem “Paukenschlag”, den zum jetzigen Zeitpunkt niemand erwartet habe. Allerdings habe der neue Präfekt des vatikanischen Glaubensdikasteriums, Kardinal Victor Manuel Fernandez, mehrfach in Interviews angedeutet, dass er sich Änderungen in diesem Bereich vorstellen könne.

Dennoch sei die Erklärung allenfalls ein “Tippelschritt, der aus deutscher, aus westlicher Sicht viel zu wenig ist, aber es ist eben ein Schritt in die richtige Richtung und damit schon ein ziemlicher Paukenschlag, ein ziemlicher Durchbruch”. Dies sei umso überraschender, als Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin vor wenigen Wochen betont habe, dass es im Bereich Homosexualität keine Änderung der Lehre geben werde. “Die Entscheidung ist keine ausdrückliche Änderung der Lehre, aber es öffnet viele Türen, über die gegenwärtige Lehre nachzudenken und auch hier Veränderungen anzugehen”, erklärte Rothe.

Michael Seewald: Erklärung zu Segensfeiern sei „bahnbrechend“

Der Münsteraner Theologe Michael Seewald hat die römische Erklärung zu Segensfeiern für homosexuelle und wiederverheiratete Paare in der katholischen Kirche als „bahnbrechend“ bezeichnet. „Was die Entwicklung der Glaubens- und Morallehre angeht, handelt es sich um die bedeutendste Neuerung seit dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzils 1965“, sagte Seewald dem Kölner Stadt-Anzeiger. Es finde damit eine Abkehr von der bisherigen moralischen Verurteilung homosexueller Beziehungen statt.

„Während die offizielle Lehre der Kirche homosexuelle Praktiken bislang als schwere Sünde bezeichnete und der Meinung war, dass aus gleichgeschlechtlichen Partnerschaften nichts Gutes erwachsen könne, hat sich die Perspektive nun verändert“, sagte Seewald, der an der katholisch-theologischen Fakultät der Uni Münster Dogmatik lehrt. Auch in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften könnten Dinge gelebt werden, die aus Sicht der katholischen Kirche „wahr, gut und menschlich gültig“ seien.

Neu zugelassenen Segensfeiern müssen nicht im Verborgenen stattfinden

Deshalb könnten gleichgeschlechtliche Paare ihre Beziehung unter den Segen Gottes stellen, erläuterte Seewald. Aus offizieller Sicht sei dies bisher nicht möglich gewesen. „Mutige Seelsorger, die es dennoch getan haben, wurden mancherorts von Bischöfen gemaßregelt, die meinten, sie müssten die wahre Lehre der Kirche verteidigen, und die nun von der Römischen Kurie der pastoralen Kurzsichtigkeit überführt wurden.“

Der Vatikan lege zwar Wert darauf, dass Segnungsfeiern für gleichgeschlechtliche Paare nicht mit der Eheschließung heterosexueller Paare verwechselt werden dürften. Es werde jedoch auch gesagt, dass die neu zugelassenen Segensfeiern nicht im Verborgenen stattzufinden brauchen, sondern öffentlich im Rahmen von Gebeten, die in einer „Gruppe“ gesprochen werden. „Die Seelsorger haben nun schwarz auf weiß, dass der Papst auf ihrer Seite steht.“ Und homosexuellen Menschen werde gezeigt, dass sie nicht nur als Einzelne, sondern auch mit den Beziehungen, in denen sie leben, einen Platz in der Mitte der Kirche haben.