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Unterlassen und Schweigen

Nachkriegsgeschichte (II) Die Kirchen und ihre Verantwortung: Erst 1950 bekannte sich die EKD-Synode zur Mitschuld an den Verbrechen gegenüber den Juden

FRANKFURT A. M. – Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs äußern sich zunächst einzelne Theologen zu der Mitverantwortung der Kirchen für die Verbrechen der Nazizeit, etwa Friedrich von Bodelschwingh. Danach  folgten verschiedene Organe der Kirchen.
Mit der Stuttgarter Schulderklärung bekennt sich die Evangelische Kirche in Deutschland am 19. Oktober 1945 stellvertretend für das deutsche Volk zu ihrer Mitverantwortung für die Verbrechen des Nazi-Regimes. Anlass ist der Besuch einer Delegation des vorläufigen Ökumenischen Rates der Kirchen. Die Kernsätze der Erklärung lauten: „Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. … Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“
Am 8. August 1947 veröffentlicht der Bruderrat, das nach Kriegsende fortbestehende Leitungsorgan der Bekennenden Kirche, in Darmstadt ein „Wort zum politischen Weg unseres Volkes". Es will einen Neuanfang markieren und die Verfehlungen der Vergangenheit klar benennen.
Ein vierfaches „Wir sind in die Irre gegangen…" soll die Mitverantwortung der Kirche hervorheben. Verfasser sind die Theologieprofessoren Hans Joachim Iwand und Karl Barth, überarbeitet wird es vom späteren hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Martin Niemöller. Wie die „Stuttgarter Schulderklärung" von 1945 schweigt das „Darmstädter Wort“ zur Verfolgung und Ermordung der Juden.
1950 schließlich erklärt die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland auf ihrer zweiten Tagung in Berlin-Weißensee: „Wir sprechen es aus, daß wir durch Unterlassen und Schweigen vor dem Gott der Barmherzigkeit mitschuldig geworden sind an dem Frevel, der durch Menschen unseres Volkes an den Juden begangen worden ist."
Bereits im August 1945 melden sich die katholischen Bischöfe zu Wort. In dem in Fulda am 23. August beschlossenen Hirtenbrief wird zunächst die oppositionelle Rolle der katholischen Kirche in der NS-Zeit betont. Zugleich wird in dem Schreiben anerkannt, dass zahlreiche Katholiken von den NS-Verbrechen wussten, sie tolerierten oder aktiv daran mitwirkten. Nach dem Zusammenbruch fordern die Bischöfe eine Rückbesinnung auf die christlichen Grundwerte in Deutschland.
Die Verantwortung des Vatikan gerät 1963 in die Diskussion. Gegen Ende der Adenauer-Ära wird das von Rolf Hochhuth verfasste Drama „Der Stellvertreter – Ein christliches Trauerspiel“ veröffentlicht und in West-Berlin uraufgeführt. Das Theaterstück hat die Haltung des Vatikans zum Holocaust zum Thema und prangert die Rolle von Papst Pius XII. bei der Judenverfolgung an. In der „Stellvertreter-Debatte" weist die katholische Kirche den Vorwurf zurück. epd