Artikel teilen:

Umstrittenes Siedlungsprojekt in der Westbank soll kommen

Unspektakulärer Name, potenziell dramatische Wirkung: Der sogenannte E1-Korridor zwischen Jerusalem und israelischen Siedlungen ist der strategische Schlüssel für einen palästinensischen Staat. Oder dagegen.

East 1 oder kurz E1: Hinter diesem technischen Namen aus britischer Mandatszeit verbirgt sich ein Gebiet, das das Schicksal des israelisch-palästinensischen Konflikts besiegeln könnte: Es reicht vom Stadtrand Ostjerusalems über Ländereien mehrerer palästinensischer Dörfer bis zur israelischen Siedlung Maaleh Adumim und quer durch das Westjordanland weit hinein in palästinensisches Gebiet Richtung Jordangraben.

Hier will der rechtsextreme israelische Finanzminister Bezalel Smotrich ein jüdisches Siedlerprojekt mit 3.400 Wohneinheiten genehmigen. Das Vorhaben “begräbt die Idee eines palästinensischen Staates”, triumphierte Smotrich am Donnerstag. Mit E1 steht oder fällt die Zwei-Staaten-Lösung, sind sich auch Kritiker und Befürworter einig.

Am kleinen Kreisel vor dem Eingang zum palästinensischen Ort Al-Eizarija, dem biblische Bethanien, staut sich fast immer der Verkehr. “Die Einheimischen nennen ihn den Platz, an dem man Hühner rupft”, sagt Mohammed Matar. Auch die Nerven der Pendler lassen hier Federn. 1,8 Millionen Palästinenser seien auf dem Weg von der südlichen in die nördliche Westbank auf diese eine Durchfahrt angewiesen, sagt der Stadtingenieur. Doch die Straße ist zu klein, Dauerstau programmiert. “Verkehr ist zum Teil der psychologischen Kriegsführung Israels geworden”, so Matar.

Matar führt die Besucherin hinauf auf den Jabal al-Baba, den “Papstberg”. Der damalige jordanische König Hussein hat hier 1964 ein Stück Land an Papst Paul VI. bei dessen historischem Heiliglandbesuch verschenkt. Noch heute gehört es dem Vatikan. Von hier sieht man im Westen herauf nach Jerusalem, in östlicher Richtung liegt der Jordangraben mit Jericho und dem Toten Meer. Noch ein Stück weiter südöstlich: Maaleh Adumim mit seinen rund 40.000 jüdischen Siedlern. Ziegen und Schafe von Beduinen grasen die wenigen Halme, die die unbarmherzige Wüstensommersonne noch nicht verbrannt hat.

Kurz vor der Hügelkuppe zweigt eine Schotterstraße ab, “Vorbereitungen für die E1-Umgehungsstraße und Teil des größeren Plans”, sagt Matar. De facto würde er die Westbank zweiteilen und die palästinensischen Orte von Jerusalem abschneiden. Eine getrennte Straße für Palästinenser würde den Verkehr entlasten, die Lebensqualität der Bewohner des Gebiets erhöhen und Spannungen vorbeugen, wie israelische Behörden argumentieren. Menschenrechts- und Friedensorganisationen wie Peace Now, B’Tselem und Ir Amim sprechen von Segregation, Enteignung und Menschenrechtsverletzungen.

Für die Anhänger einer friedlichen Koexistenzlösung ist E1 der Sargnagel der Zwei-Staaten-Lösung. Für die Verfechter ist genau das der Plan: der Todesstoß für einen palästinensischen Staat. Nach Smotrichs Ankündigung, das seit Jahrzehnten schwelende Siedlerprojekt nun umzusetzen, soll am Mittwoch der zuständige israelische Planungsrat abschließend zu E1 beraten.

“E1 ist Teil von allem, was im besetzten Westjordanland vorgeht”, sagt Aviv Tatarsky von Ir Amim. Ein israelischer Prozess von Annektierung und Vertreibung zeige “zwei Seiten derselben Medaille”. Dass das rund 30 Jahre alte und mehrfach aufgrund internationalen Drucks auf Eis gelegte Projekt unter der rechtesten aller israelischen Regierungen und in der Amtszeit eines US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump aufgekocht wird, überrascht den Friedensaktivisten nicht. Israels Masterplan sei ein Staat vom Jordanfluss bis zum Meer, mit jüdischer Vorherrschaft, E1 der entscheidende Schlüssel dazu.

Auch das Beduinendorf Khan al-Ahmar liegt in der E1-Zone. Seit langem kämpft die Gemeinschaft um das Überleben des Dorfes. Würden die Pläne für den israelischen Aus- und Straßenbau verwirklicht, dürften die Bewohner von Khan al-Ahmar die alte Straße nach Al-Eizarija nicht mehr ungenehmigt nutzen, sagt Eid Abu Khamis, Sprecher der Gemeinschaft. Spätestens wenn E1 umgesetzt wird, dürften auch der von Israel seit langem geplante Abriss Khan al-Ahmars und die Zwangsumsiedlung der Bewohner zur Realität werden.

Schon jetzt machten israelische Siedler den Beduinen das Leben zur Hölle. Immer wieder drängten sie auf das Beduinenland, hätten zuletzt einen neuen illegalen Außenposten auf dem Hügel über Khan al-Ahmar errichtet. In den umliegenden Siedlungen lebten mehrere israelische Parlamentsabgeordnete, so der Beduinensprecher. Manchmal, berichtet Abu Khamis, töteten Siedler Tiere aus der Herde der Beduinen, und “im Sommer öffnen sie manchmal die Leitungen, und all das Siedlerabwasser fließt in unser Wadi”.

Immer wieder hatten internationale Diplomaten sich mit Worten und Solidaritätsbesuchen hinter die Beduinen Khan al-Ahmars gestellt. Diesmal sorgte Smotrichs Ankündigung für besonders harsche Kritik der UN, aus Europa und auch aus Berlin. Eid Abu Khamis gehen die Verurteilungen nicht weit genug. Nicht zuletzt der Gazakrieg und die internationale Aufmerksamkeit, die er erhalte, machten es Smotrich und Co. leichter als je zuvor, den Traum eines Großisrael de facto Schritt für Schritt umzusetzen. Abu Khamis sagt: “Die ganze Welt schweigt, und uns geht die Hoffnung aus.”