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Trierer Missbrauchsstudie: Zahl der Betroffenen steigt auf 711

711 Betroffene, 234 mutmaßliche Täter: Der Umfang von Missbrauchstaten durch Kirchenmitarbeiter im Bistum Trier wird größer. Forscher kündigen für 2025 eine Gesamtstudie an. Mit noch höheren Zahlen.

Mehr Kinder, Jugendliche und Erwachsene als bisher bekannt sind im Bistum Trier durch Priester und Kirchenmitarbeiter missbraucht worden. In den vergangenen Jahrzehnten gab es im Bistum Trier mindestens 711 Betroffene und 234 mutmaßliche Täter, wie Forscher am Mittwoch in Trier mitteilten. Sie präsentierten eine Studie zum sexuellen Missbrauch in der Ära des früheren Bischofs Hermann Josef Spital (1981-2001). Mindestens 49 mutmaßliche Täter in den Reihen der katholischen Kirche und 199 Opfer hat es demnach allein in den 1980er und 1990er Jahren gegeben.

Forscher sprechen dabei von einem Hellfeld und vermuten, dass die tatsächlichen Zahlen höher sind. Bei den Recherchen stießen die Studienautoren Lutz Raphael, Lena Haase und Alisa Alic auch auf drei Personen, die sich in zeitlicher Nähe zu erlittener sexualisierter Gewalt das Leben nahmen.

Grundlage der Studie mit rund 80 Seiten waren mehr als 1.000 kirchliche Personalakten sowie 20 Gespräche mit Betroffenen und Zeitzeugen. Mit 77 Prozent seien die Betroffenen männlich, zu 22 Prozent weiblich gewesen – in zwei Fällen wurde nicht klar, ob die missbrauchte Person männlich oder weiblich war. Für den Bericht haben die Forscher nach eigenen Angaben Zugang zu allen Bistumsakten erhalten.

Kritisiert wird in der Studie die frühere Bistumsleitung unter Bischof Spital: “Während für die Aufklärung intern Sorge getragen wurde, so wurde die moralische Pflicht zu Anzeige und Information staatlicher Stellen vollständig vernachlässigt.” Zwar sei über eine unabhängige Kommission zur Prüfung der Vorwürfe gesprochen, diese aber nie eingerichtet worden. Laut Studie waren bereits der damaligen Bistumsleitung 20 der Beschuldigten bekannt.

Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs sieht “klerikalen Korpsgeist” auf der einen Seite und Ohnmachtserfahrungen auf der Seite der Betroffenen: “Erneut erschreckt die Verständnislosigkeit der Verantwortlichen für die Betroffenen der Taten”. Alle eingeleiteten Schritte seien zu wenig gewesen, um weitere Taten zu verhindern. “Ausdrücklich” spreche die Kommission daher von Dilettantismus rund um Bischof Spital.

Der Verein “Missbrauchsopfer und Betroffene im Bistum Trier” zeigte sich erschüttert. “Um es klar zu sagen, es geht um tausendfachen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Umfeld der Kirche. Ungesühnte Fälle, die im Nachhinein entdeckt werden”, sagte der Vereinssprecher Hermann Schell.

Für Schell ist diese Untersuchung eine “Ouvertüre” für die anstehenden Forschungen zur Verantwortung des aktuellen Bischofs Stephan Ackermann (Bistum Trier) sowie des Vorgängers Reinhard Marx (heute Bistum München-Freising) – und des früheren Trierer Generalvikars Georg Bätzing. Er ist inzwischen Vorsitzender der Bischofskonferenz und Bischof in Limburg. “Ich möchte, dass sie eigene Versäumnisse deutlich benennen und die Frage beantworten: Was war mein Anteil daran”, sagte Schell der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Forscher haben angekündigt, auch die Amtszeiten dieser Bischöfe und Kirchenverantwortlichen zu untersuchen.

Ackermann kritisierte indessen seinen Amtsvorgänger Spital für dessen Umgang mit Missbrauchstätern. “Ein pastoraler Umgang mit Verbrechen ist verfehlt”, sagte Ackermann. Er beklagte unter anderem, dass es zwischen 1981 und 2001 kein kirchenrechtliches Verfahren gegen einen Täter gegeben habe. Das ist eines der Ergebnisse der Studie.

“Auch wenn die Umstände und Hintergründe der Suizide nicht mehr aufgeklärt werden können, so ist für mich diese Vorstellung unerträglich”, sagte Ackermann. Er verwies darauf, dass hinter allen Zahlen immer Menschen stünden und sprach von einer schmerzlichen Erinnerung.

Die Studie ist Teil des Projekts “Sexueller Missbrauch von Minderjährigen sowie hilfs- und schutzbedürftigen erwachsenen Personen durch Kleriker/Laien im Zeitraum von 1946 bis 2021 im Verantwortungsbereich der Diözese Trier: eine historische Untersuchung”. Bis Ende 2025 wollen die Forscher dazu einen Gesamtbericht vorlegen, wie sie bei der Pressekonferenz ankündigten.