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Traumaexpertin rät zu sanfter Therapie für freigelassene Geiseln

Die Freude über die bisher freigelassenen israelischen Geiseln ist groß. Viele Menschen auch in Deutschland fragen sich, wie sie ihre Erlebnisse aus der über ein Jahr dauernden Gewalt der Hamas verarbeiten können.

Die freigelassenen Hamas-Geiseln brauchen nach Worten einer israelischen Expertin eine vorsichtige und sanfte Therapie, um ihre Erlebnisse verarbeiten zu können. “Anfangs versuchen wir, sie zu stabilisieren. Doch das ist nicht leicht, solange der Krieg anhält, solange viele ihrer Liebsten noch in Gaza sind”, erklärte die Traumatherapeutin Ofrit Shapira Berman im Interview der “Jüdischen Allgemeinen” (Donnerstag).

In den ersten Tagen nach der Freilassung sei Euphorie zu beobachten, danach gehe das normale Leben mit allen Schwierigkeiten wieder los. Man konzentriere sich vor allem auf die Bedürfnisse der Menschen und die Beziehungen innerhalb der Familie, sagte Berman. “Die Therapie muss eher sanft sein. Man kann zurückgekehrte Geiseln mit Frühchen vergleichen, die extrem viel Vorsicht und Pflege brauchen.”

Bei den psychologischen Herausforderungen ehemaliger Geiseln handele es sich um eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung, die durch Abhängigkeit entstanden sei, erläuterte Berman. “Denn das Opfer ist demjenigen, der es gefangen hält, völlig ausgeliefert, was zu großer Verwirrung führt.” Viele hätten Schwierigkeiten zu schlafen oder aufzuwachen. Auch könnten Trigger das Gefühl auslösen, dass sie noch in Gaza oder zumindest in großer Gefahr seien. “Oft ist es für die Menschen extrem schwierig, Nein zu sagen. Sie sind wie Gefangene der Dankbarkeit.”

Berman, die selbst mit ehemaligen Geiseln arbeitet, betonte, dass auch auf die Stärke von Menschen gesetzt werden sollte. “Zwar werden Schmerz und Trauma lange da sein, einiges für immer, doch eine Heilung dauert nicht Jahrzehnte. Man muss sich die kleinen Schritte vor Augen halten. Und deshalb braucht es vor allem viel Geduld.”

Am Sonntag hatte die Terrororganisation Hamas drei Frauen, die beim Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 entführt worden waren, freigelassen. Dies ist Teil eines Waffenstillstandsabkommens, das am selben Tag in Kraft trat. Schrittweise sollen weitere Geiseln freikommen. Bereits Monate zuvor war ein Teil der Verschleppten wieder zurück nach Israel gebracht worden.