Artikel teilen

Trauerrituale

Experimentierfeld Trauerrituale

Ein kleines bisschen Ewigkeit

Das Segensbüro in Berlin-Neukölln experimentiert mit einer neuen Trauerkultur

Von Katharina Körting

Normalerweise laden evange­lische Kirchengemeinden am Ewigkeitssonntag persönlich diejenigen Mitglieder zum ­Gottesdienst ein, die innerhalb des vergangenen Jahres jemanden aus dem nahen Familienkreis verloren haben. Im ­Gottesdienst werden dann die Namen verlesen und oft auch Kerzen ­angezündet. Aber ein darüber hinausgehendes Mit­einander ist nicht vorgesehen.

Die drei Pfarrerinnen des ­Segensbüros in Berlin-Neukölln sehen Bedarf für „eine neue Form der Trauerarbeit und des aktiven Erinnerns an Ver­storbene“, wie es in einer Mitteilung heißt. Das Segensbüro ist eine sogenannte Kasualagentur, die Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen und Segen für individuelle Anliegen anbietet, etwa bei Jobwechsel, Umzug, wenn die Kinder aus dem Haus sind oder wenn eine schwere Krankheit alles durcheinanderbringt.

Lebensgeschichten erzählen

Erstmals bietet es nun auch das „Fest der Toten an“. „In den Ohren mancher klingt das makaber“, sagt Pfarrerin ­Susann Kachel vom Segensbüro. Manche Kolleg*innen hätten mit Vorbehalt reagiert. Andere argwöhnen, der Tod werde schöngeredet. Man wolle jedoch weder das Schwierige verdrängen noch pietätlos auf Gräbern tanzen – im Gegenteil: „Es geht darum, Lebens­geschichten aufleuchten zu ­lassen“, sagt Pfarrerin Kachel. Bei einem gemein­samen Essen an einer festlich geschmückten Tafel und dem Erzählen von Lebens­geschichten Verstorbener soll sich „ein lebendiger Raum der Erinnerungen öffnen“.

Jede und jeder ist eingeladen, Familien, Kinder, Alte und Junge. Gebühren werden nicht erhoben. Da der Schillerkiez in Neukölln ein sehr junges Pflaster ist, finden Interessierte auch auf Instagram die nötigen Informationen. „Aber das Thema ­betrifft natürlich alle“, sagt ­Kachel, „egal, wie alt sie sind.“ Wie lange der Tod eines geliebten Menschen her ist, sei nicht wichtig.

Interessierte sind eingeladen, eine Lieblingsspeise der verstorbenen Person mitzubringen oder einen Gegenstand, der eine besondere Geschichte zur verstorbenen Person erzählen kann. Es wird Impulse für ­Gespräch und Reflexion geben. Und bei gemeinsamem Essen und Akkordeon-Musik können „auch ungute Erinnerungen Raum bekommen“, so Kachel.

Im geschützten  Rahmen sprechen

Gegenüber Toten blieben manchmal zwiespältige Gefühle zurück, Ärger oder Schmerz. „Auch das hat Platz“, versichert die Pfarrerin, „nicht nur Traurigkeit, nicht nur Liebe.“ Und ­gelacht werden darf auch. ­Bislang unausgesprochene Dinge könnten sich Teilnehmende, wenn gewünscht, im kleinen geschützten Rahmen beim Gespräch mit einer Pfarrerin von der Seele reden. An einer ­„Segensstation“ können sie sich segnen lassen. Ziel der Begegnung auf dem „Fest der Toten“ sei es, „dass es sich so anfühlt wie ein kleines bisschen Ewigkeit, das gelebte Leben, das jetzt nicht mehr da ist, aber ­erinnert wird von ­den dazu­gehörigen lebenden Menschen“.

Für Kinder und Erwachsene gibt es eine gemütliche Leseecke mit altersgerechten Büchern rund um das Thema Tod und Trauern. Auch ein Vorleseangebot ist geplant. Der Bilder-Buch-Laden aus Kreuzberg macht es möglich. Außerdem kann man Kerzen ­anzünden, auf die die Namen der Verstorbenen geschrieben werden können.

Termine dazu:

„Fest der Toten“ im Abendglanz zum Ewigkeits­sonntag in Berlin-Neukölln

20. November 2022 Ankommen ab 15.30 Uhr, Beginn um 16 Uhr.

Startbahn/Genezarethkirche, Herrfurthplatz 14, Berlin-Neukölln.

Anmeldung per E-Mail an: festdertoten@segensbuero-berlin.de

Alle spontanen Gäste sind ebenfalls herzlich willkommen. www.segensbuero-berlin.de

"Fest der Toten" Gemeinsam, Erinnern, Speisen in Berlin-Spandau.

Am 19. November um 12 Uhr im Café Pi8, Pillnitzer Weg 8, Berlin-Spandau

Anmeldung unter Telefon: 030-32 294 511