Erfurts katholischer Bischof Ulrich Neymeyr appelliert an alle „anständigen Menschen“ in Thüringen, sich von rechtsextremen Populismus, sprachlicher Verrohung, Hass und Menschenverachtung zu distanzieren. Es reiche nicht aus, die jüngsten Anschläge auf Büros und Wohnhäuser von Politikern nur strafrechtlich zu verfolgen, sagte der Bischof dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Erfurt. Spätestens jetzt müsse sich jeder fragen, welchen Protest, welche politischen Stimmungen und welche Parteien er unterstütze und wähle.
Neymeyr sagte, die Antwort auf diese Frage könne „lebensgefährliche Folgen“ haben. Dass die Zivilgesellschaft gegen solche lebensgefährlichen Tendenzen mobilisiere, mache Mut und verdiene jede Unterstützung.
Wachsende Radikalisierung rechtsextremer Kreise schon länger bekannt
Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer sagte unterdessen, die anhaltend aufgeheizte und teilweise sehr aggressive politische Stimmung lasse weitere Anschläge und Angriffe befürchten. Er sieht in den jüngsten Angriffen auf Abgeordnetenbüros und Wohnhäuser von Politikern keine direkte Antwort der rechten Szene auf die aktuelle Welle von Kundgebungen gegen Rechtsextremismus. Schon in den vergangenen Jahren habe die Behörde eine wachsende Radikalisierung rechtsextremer Kreise festgestellt, sagte Kramer am Mittwoch dem epd. Die Stimmung werde zudem von einigen Protagonisten eher noch geschürt.
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Auch wenn im Hinblick auf die aktuellen Taten Zurückhaltung bei Schlussfolgerungen über Täterschaft und mögliche Motive geboten sei, würden Hakenkreuze und Angriffe gegen Partei- und Abgeordnetenbüros erste Hinweise geben, die für den Thüringer Verfassungsschutz nicht völlig überraschend kämen. Eine Zunahme an Brutalität und eine sinkende Hemmschwelle bei Gewalt gegen Sachen und Personen in der politischen Auseinandersetzung sind laut Kramer klar erkennbar. Eine Mäßigung sei derzeit nicht zu erwarten, warnte er.
Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland: Solidarität für die Betroffenen
Die auch von der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) unterstützte Opferberatungsstelle Ezra erkennt in den Taten eine klare Strategie der rechtsextremistischen Szene. Deren Sprecher, Frank Zobel, sagte, zu Beginn des Wahljahres sollten demokratische Politikerinnen und Politiker eingeschüchtert und zum Aufhören gebracht werden. Es brauche daher dringend Solidarität und Zuspruch für die Betroffenen.
In Thüringen hat es seit Sonntag mehrere Angriffe auf Gebäude gegeben, in denen Politiker wohnen oder arbeiten. Ein mutmaßlicher Anschlag galt dem Wohnhaus eines SPD-Kommunalpolitikers im Kreis Gotha. Kurz zuvor hatten Unbekannte zwei SPD-Büros in Suhl attackiert. Das Wahlkreisbüro von Landtagspräsidentin Birgit Pommer (Linke) in Bleicherode wurde mit Hakenkreuzen beschmiert.