“Für niemanden ist es leicht zu akzeptieren, dass man nichts mehr von ihm wissen will”, schreibt Rainer Bucher. Die Kirche stellt diese Erkenntnis laut dem Theolgen vor ungekannte Herausforderungen.
Kirchenaustritte sind für den Theologen Rainer Bucher eine “prophetische Herausforderung”. Der emeritierte Professor für Pastoraltheologie (Universität Graz) schrieb am Mittwoch auf dem Portal “feinschwarz.net”, die steigenden Kirchenaustrittszahlen sagten der Kirche Neues über sich selbst. Es sei dabei noch nicht gesagt, dass dieses Neue schon wirklich erkannt sei. “Denn das ist mühsam und man muss aufmerksam sein, hinhören und demütig suchen. Das sind für die katholische Kirche nicht unbedingt charakteristische Eigenschaften”, erklärte Bucher.
Der Theologe erkennt einen epochalen Wandel in der Art und Weise, wie Kirche heute genutzt werde: “Von einer praktisch unverlassbaren ‘Heilsanstalt’ wurde sie zu einer nur noch situativ und nach einem individuellen Kosten-Nutzenkalkül aufgesuchten Anbieterin von religiösen und sozialen Praktiken.” Das bedeute die Auflösung des klassischen katholischen Konzepts von “Kirche” von der “Nutzerseite” her.
Wenn bisher bekannte pastorale Problemlösungsansätze angesichts der neuen Situation nicht greifen, markiere das eine prophetische Herausforderung des Kirchenaustritts, so Bucher. Es zeige sich: “So wie bisher geht es nicht weiter. Das ist eine klassisch prophetische Lage.” Prophetie stelle sich gegen die alten Institutionen des Glaubens, insofern diese nur alte Formeln weitergeben, die auf neue Fragen keine weiterführenden Antworten gäben.
Der prophetische Gehalt der Kirchenaustrittszahlen liegt laut Bucher im “endgültigen Zurückgeworfensein der Kirche auf den Nachweis der existentiellen Wahrheit ihrer Botschaft”. So sei die Frage nach der Fähigkeit, dem Glauben säkulare Bedeutung zu verleihen und der menschlichen Existenz heute eine religiöse Perspektive zu eröffnen, eine prophetische Herausforderung.
Daraus folgen laut dem Theologen die Fragen: “Kann man in der Kirche erfahren, was sich am Leben ändert, wenn man an diesen Gott glaubt?” und “Kann man in unserer Kirche jenes bedingungslose Angenommensein, das jener Gott, den wir doch verkünden, uns schenkt und das alleine wirklich Veränderung, Umkehr ermöglicht, auch von uns als Geschenk erleben?”