Präzise beobachtende Doku über einen früheren Kindersoldaten aus Uganda, der ein kritisches Licht auf die Grundannahmen europäischer Rechtsprechung wirft.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Unter dem Titel “Theatre of Violence” hatte der Film von Lukasz Konopa und Emil Langballe aus dem Jahr 2023 auch eine kleine Kinoauswertung in Deutschland im September. Der präzise beobachtende und sehr sehenswerte Dokumentarfilm kreist um den Prozess gegen den ehemaligen ugandischen Kindersoldaten Dominic Ongwen, der im Mai 2021 vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde.
Konopa und Langballe nutzen das Verfahren, um nach den Hintergründen der Gewalt in Uganda zu fragen, wobei auch die Verantwortung der ehemaligen Kolonialmächte ins Spiel kommt. Gerechtigkeit besteht demnach vielleicht nicht nur in der Übernahme individueller Verantwortung, sondern auch in Wegen, wie gesellschaftliche Wunden geheilt werden können.
Gespenstisch türmen sich Gewitterwolken über der afrikanischen Buschlandschaft. Während eines langsamen Kameraschwenks wandert der Blick vom entfernten Wetterleuchten zum schwelenden Feuer im Gestrüpp. Stimmen eines Kinderchors drängen leise ans Ohr, während die Flammen ausschlagen und zu einem verschlingenden Brand anwachsen.
In sparsamen Einblendungen werden historische Schlaglichter gesetzt, um die Geschichte Ugandas im Schnelldurchlauf zu skizzieren: Kolonialherrschaft, Aufteilung ohne Rücksicht auf kulturelle und ethnische Trennlinien, späte Unabhängigkeit, Diktatur,…
In Uganda regiert Präsident Museveni das Land seit 1986 in der Nachfolge des Diktators Idi Amin. Seine demokratische Legitimation war durch seine Miliz immer zweifelhaft, wie Wahlbeobachter berichten. In der von ihm unterdrückten Volksgruppe der Acholi ist schon ein Jahr nach seinem Amtsantritt die “Lord’s Resistance Army” (LRA) entstanden. Sie rekrutiert sich aus Kindersoldaten, um diese mit fehlgeleiteten christlichen Heilslehren in sektiererischer Indoktrination zum Morden zu zwingen, mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen.
Vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wird ein Mitglied der LRA für seine Verbrechen angeklagt. Der dänische Dokumentarfilmer Emil Langballe begleitet mit dem aus Polen stammenden Soziologen Lukasz Konopa diesen Prozess und überführt dabei das komplexe historische Setting in ein prägnantes Justizdrama.
Auf der Anklagebank sitzt der vormalige Kindersoldat Dominic Ongwen einem Ensemble von Juristen gegenüber, die ihn für über 70 verschiedene “Crimes against humanity” zur Verantwortung ziehen wollen. Doch dem Fall liegt im Gegensatz zu vielen anderen Prozessen ein Widerstreit zugrunde, dessen Unwägbarkeiten sich “Theatre of Violence” mit kluger Zurückhaltung nähert. Wie urteilt man über Täterschaft, die selbst aus einer Situation schwerer Menschenrechtsverletzung entstanden ist? Führt die Tatsache, dass Ongwen mit neun Jahren von der LRA entführt und unter Androhung des eigenen Todes zum Töten gezwungen wurde, dazu, ihn auch als Opfer zu sehen, das mildernde Umstände geltend machen kann?
Anhand dieser vor Gericht kaum verhandelbaren Widersprüchlichkeit entwickelt das Regie-Duo eine ästhetische Form der Beweisaufnahme, die zugleich die Grundannahmen europäischer Rechtsvorstellungen hinterfragt. Dabei geht es vor allem darum, das Gericht durch ausgewählte Zeugen über die komplexen sozialen und historischen Hintergründe in Uganda aufzuklären. So entstammt der charismatische LRA-Anführer Joseph Kony einer streng katholischen Familie. In seiner Miliz vermischen sich martialische Passagen über den Heiligen Geist mit dem volkstümlichen Glauben an Besessenheit.
Ohne Off-Kommentar, erläuternde Einblendungen oder “Talking Heads” gelingt allein durch eine kluge Montage und Dramaturgie eine genaue Durcharbeitung der ugandischen Konfliktlinien. Eine pädagogische Lenkung wird dabei vermieden; die Aussagen der Protagonisten stehen wie vor Gericht für sich selbst und fordern zur Urteilsbildung auf.
Eine zentrale Gegenposition zur europäischen Perspektive formuliert die ugandische Friedensaktivistin Rosalba Oywa mit dem Konzept der “Restorative Justice”. Anstatt Einzeltäter zu langen Haftstrafen zu verurteilen, setzt dieses auf Amnestie und die Wiederherstellung der lokalen Gemeinschaft. Die Täter nicht wegzusperren, sondern mit Ritualen wieder ins soziale Gewebe aufnehmen, ist angesichts der sich aus Herrschaft und Spaltung speisenden Gewalt auch eine Strategie der Dekolonialisierung.