Artikel teilen:

„Tee strukturierte den Tag“

Tee ist besonders im Winter ein beliebtes Getränk. Er vermittelt nicht nur Wärme und ein wohliges Gefühl – für manche hat er auch eine ganz besondere Symbolik. Wie aus dem Zufallsprodukt ein Getränk für Individualisten wurde

Draußen herrschen eisige Temperaturen, und vom Spaziergang, der Arbeit oder dem Einkauf kommt man meist durchgefroren nach Hause. Für viele ist dann klar: Jetzt erst mal eine Tasse Tee trinken! Das heiße Getränk wärmt nämlich nicht nur – ihm wird auch eine beruhigende Wirkung nachgesagt und er soll heilende Kräfte bei Krankheiten und Unwohlsein haben; gerade im Winter eine perfekte Kombination. Dabei steht Tee nicht nur für Wohlbefinden und Entspannung – er spiegelt auch Individualität und Selbstbesinnung wider.
Ursprünglich wurde Tee in China 3000 Jahre vor Christus entdeckt, erklärt Maximilian Wittig, Geschäftsführer des Deutschen Teeverbandes: Ein Blatt fiel ins heiße Trinkwasser des Kaisers Shennong und verfärbte es golden. Der Kaiser war von dem Geschmack sehr angetan. 1657 kam Tee nach Deutschland. Aber: Er fand „zunächst nur Eingang in die Salons des Adels, des Großbürgertums sowie intellektueller Zirkel“.
Erst im 19. Jahrhundert gewann er auch bei den Arbeitern an Bedeutung, weiß der Ernährungspsychologe Christoph Klotter. Griffen sie früher gerne zu Alkohol, wurde Tee zum beliebten Getränk: Der Kopf blieb klar, und der „adelige“ Tee aus feinen Tassen sollte ihren aufstrebenden Stand sichtbar machen. Zudem bedeutete das Teetrinken auch die Besinnung auf sich selbst: Sowohl vor der Arbeit als auch danach gönnten sich die Arbeiter einen Moment der Ruhe. „Tee strukturierte den Tag.“

Am beliebtesten sind Kräuter- und Früchtetees

Die Lust am Teetrinken hält sich bis heute: Durchschnittlich 68 Liter Tee hat ein Deutscher im Jahr 2015 getrunken. Dabei entfallen etwa 28 Liter auf den klassischen Schwarz- und Grüntee und knapp 40 Liter auf Kräuter- und Früchtetee, heißt es von der Wirtschaftsvereinigung Kräuter- und Früchtetee und dem Deutschen Teeverband.
In Norddeutschland ist der Teeverbrauch dabei besonders beachtlich: Rund 300 Liter pro Kopf wurden dort aufgebrüht – fast 100 Liter mehr als in der Tee-Hochburg England. Besonders beliebt sind in Deutschland schwarzer Tee, „Earl Grey“ und zunehmend auch Tees aus ungewöhnlicher Herkunft wie Malaysia oder Neuseeland. Bei den Kräuter- und Früchtetees ist Ingwer der „Dauerbrenner“, erklärt Monika Beutgen von der Wirtschaftsvereinigung Kräuter- und Früchtetee.
Kräuter und Früchte – genau die sorgen auch seit jeher für das Gefühl von Wohlbefinden, Entspannung und Gesundheit beim Teetrinken, sagt Psychologe Klotter. Das kommt nicht von ungefähr: „Früher wussten Heilerinnen genau, wann welches Kraut half.“ Kann Tee also tatsächlich die fiese Erkältung oder Anspannung lindern? Hinreichende Befunde zur Bestätigung dessen gibt es laut Klotter nicht. „Nachgewiesen ist, dass Baldrian beruhigend wirkt und Kamille gut für die Stimme ist.“ Viele Mischungen jedoch, die Namen wie „Kopf frei“, „Energie“ oder „Harmonie“ tragen, hätten eher einen „Placebo-Effekt – aber wenn es einem besser geht, nur weil man dran glaubt, ist es doch auch gut.“
Zunehmend kommen auch ganz ausgefallene Sorten auf den Markt, berichten die Teeverbände. Ob „Strawberry Cheesecake“, „Apfelstrudel“ oder „Himbeertörtchen“: „Noch im vergangenen Jahr ein Geheimtipp, haben es Tees mit Gebäcknote nun nach ganz oben der Hitliste der Tee-Trends geschafft“, so Beutgen.

Immer wieder neue Tee-Kreationen auf dem Markt

Das hat laut Ernährungspsychologe Klotter mehrere Gründe: „Schon immer wollten sich die Menschen durch ihre Nahrungsmittel abheben.“ Essen und Trinken sei so etwas wie eine „Identitätsplattform“ – was neu ist und nicht jeder hat, ist angesagt. Die Menschen verlangten geradezu nach neuen Möglichkeiten – und die Marketingabteilungen der Hersteller bedienten das Bedürfnis. „Nahrungsmittel werden maßgeschneidert, für jeden ist etwas dabei.“
Vor allem junge, gebildete Frauen hießen diese Tee-Kreationen gut, weiß Klotter. Zum einen könnten die Tee-Sorten ein Nahrungs-Ersatz sein. Andererseits spiele auch etwas Eitelkeit mit: „Der Pott Kaffee ist nichts Besonderes, sondern alltäglich. Tee hingegen trinkt nicht jeder, dafür werden auch heute noch feinere Tassen verwendet – das hat auch etwas mit sozialem Stand zu tun.“
Zudem riefen neue Geschmacksrichtungen immer Neugierde hervor. „Wir wollen heutzutage immer mehr entdecken“, erläutert Klotter. Außerdem hätten viele regelmäßig das Gefühl, sich auf sich selbst besinnen zu wollen. „Tee ist ein Teil der ‚Ich-tu-mir-etwas-Gutes-Kultur‘.“
Bleibt noch die Frage, woher das Sprichwort „Abwarten und Tee trinken“ kommt. „Hier gibt es verschiedene Auslegungen“, erklärt Wittig. Zum einen könnte es ein Zitat des heilkundigen Schäfers Heinrich Ast (1848-1921) sein. Er empfahl seinen Patienten, „Tee zu trinken und dann abzuwarten“, bis sich die Heilung einstellte. Andererseits gibt es auch die Vermutung, dass der Spruch aus Zeiten des literarischen Teesalons stammt. Mussten ein literarischer Gast und seine schwere Kost ertragen werden, blieb den Gästen oft nur „abwarten und Tee trinken“ – versüßt mit etwas Rum – übrig. Der Ausspruch muss übrigens aus Deutschland kommen, vermutet Wittig: Im Französischen, Englischen und Italienischen heißt es jeweils übersetzt „Warten und schauen“.