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Taub, aber noch lange nicht stumm

Zehn Jahre lang hat sich Rosemarie Stegmann um die Gehörlosenseelsorge in Mecklenburg gekümmert. Jetzt hat sie gemeinsam mit ihrem Mann Jürgen Stegmann ein Buch herausgegeben – über ihr Leben mit hörgeschädigten Menschen.

Photographee.eu /Fotolia

Rostock. Rosemarie und Jürgen Stegmann können auf viele Lebensstationen zurückblicken. Das Buch, das sie jüngst herausgegeben haben, ist eine Sammlung einiger davon, insbesondere der Erlebnisse und Erfahrungen in der Hörgeschädigtenarbeit, die sie über die Jahre mit und in ihrem Pfarrhaus in Thelkow sammeln konnten. Dieses war zu einem Zentrum der mecklenburgischen Gehörlosenarbeit auf Zeit und zu einer Heimat für Rosemarie und Jürgen Stegmann geworden. Zuletzt mussten sie diese Heimat jedoch aufgeben.
Beide erzählen unter anderem über die Wege, durch die sie zur Arbeit mit Hörgeschädigten kamen. Bei Rosemarie Stegmann, geb. Niemann, begann es zum Beispiel damit, dass sie gleichzeitig mit ihrem Dienstbeginn als Gemeindehelferin der Pfarrgemeinde in Güstrow im Jahr 1964 den Auftrag erhielt, Christenlehre an der Landesgehörlosenschule zu halten – ohne darauf irgendwie vorbereitet oder gar dafür ausgebildet zu sein. Sie schreibt: „Ich hatte vorher nie Kontakt zu gehörlosen Menschen. Ich konnte keine Gebärdensprache.“ Das einzige, was ihr blieb, war, sich in Eigeninitiative und mit besonderer Mühe diesem Unterricht zu widmen und sich von erwachsenen Gehörlosen Gebärden zeigen zu lassen. Ihr späterer Mann Jürgen hatte bereits, durch einen gehörlosen Sohn aus erster Ehe, Berührung mit dem Thema.

Harte Erfahrungen

Lebendig erzählen beide von ihren ganz unterschiedlichen Ausgangssituationen, von den ersten Schritten im Kontakt mit hörgeschädigten Menschen, von überraschenden Wendungen, von kaum lösbaren Problemen und von glücklichen Begegnungen in der Arbeit. Hart sind die Erfahrungen von Jürgen Stegmann und seiner früh verstorbenen ersten Frau gewesen, weil die Gehörlosigkeit ihres dritten Kindes erst spät entdeckt wurde und man beide mit dieser Tatsache weitgehend allein ließ. Auf solchen Wegen aber wurde schließlich die Arbeit mit Hörgeschädigten für Rosemarie und Jürgen Stegmann zur gemeinsamen Lebensaufgabe.
Neben Predigten und Materialien aus Rosemarie Stegmanns Arbeit als Gehörlosenseelsorgerin sowie Informationen und Sachbeiträgen über Hörschädigungen, Hilfen und Berichten von Hörgeschädigten selbst schildern Rosemarie und Jürgen Stegmann auch einige besonders schwere Schicksale von Menschen, die sie begleiten durften. Besonders an diesen Berichten wird deutlich, wie mühsam es sein kann und wie lange es manchmal braucht, bis die richtigen Möglichkeiten für das Leben der Hörgeschädigten und für das Leben mit ihnen gefunden und in die Tat umgesetzt werden können.

"Ein unterschiedlicher Kulturkreis"

Trotz aller gewonnenen Erkenntnisse und medizinischen Fortschritte ist auch heute noch längst nicht alles gut. Jürgen Stegmann schreibt hierzu, Hörende und Gehörlose trenne „ein unterschiedlicher Kulturkreis und eine andere Sprachgemeinschaft“. Solche Worte zeigen treffend, was für eine Aufgabe es ist, Wege zu finden und Brücken zu bauen, um zwischen Hörenden und Nichthörenden überhaupt hin und her gehen zu können. „Ich denke, träume oft, was Klang wohl sei. Was ist ‚plaudernder Bach‘, was ‚Vogelgesang‘, was ‚flüsternder Wind‘? … Ich liebe das schöne Wort Musik, das irgend mir gefällt“, schreibt Clara, eine Gehörlose, in dem Buch.
Info
Das Ehepaar Stegmann stellt sein Buch und seine Erfahrungen in der Arbeit mit Hörgeschädigten gern auch in Gemeinden oder einzelnen Gruppen vor. Anfrage unter Tel.: 0381 / 877 295 11.
Buch-Hinweis
Taub ist nicht stumm, taub ist nicht dumm.
Online-Verlag Jörg Bruchwitz 2017,
312 Seiten
22,90 EUR
ISBN 978-3-939531-79-1