“Trauen darf man nur Familienmitgliedern!”, warnt der im Gefängnis sitzende Vater. “Du kannst mir vertrauen!”, sagt wiederum die Sozialarbeiterin Aro, die in der Jugendeinrichtung tätig ist, in der David wohnt. Der 13-Jährige ist unsicher, verwirrt, auf der Suche: Wem soll er Glauben schenken? Die unabhängige, rebellische Aro findet er toll, ist auch ein wenig verliebt in die junge Frau. Doch Blut ist bekanntlich dicker als Wasser.
Und in manchen Familien noch ein wenig zähflüssiger als in anderen: zum Beispiel bei den Maslovs und den Ellingers, zwei miteinander verschwägerten, kriminellen Familienverbänden. Der “Tatort” “Zerrissen”, den Das Erste am 21. Januar von 20.15 bis 21.45 Uhr ausstrahlt, erzählt von diesem Jungen, an dem von mehreren Seiten gezerrt wird.
Hart an der Grenze zum Illegalen
Von seinen Cousins, die mit Einschüchterung und notfalls auch Gewalt für sein Schweigen zu sorgen suchen: Denn der (strafunmündige) Junge stand Schmiere bei einem gemeinsamen Überfall auf einen Juwelier, bei dem eine Kundin getötet wurde. Doch auch die Ermittler Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) haben ihre Interessen, sehen in David (Louis Guillaume) den Schlüssel zur Aufklärung des Verbrechens.
Lannert versucht es mit Kumpelei, fängt David – hart an der Grenze zum Illegalen – nach der Schule ab, lässt ihn mit seinem Porsche fahren. Und selbst die idealistische Sozialarbeiterin Annarosa, genannt Aro (Caroline Cousin), lässt David nicht einfach sein, projiziert die eigenen Sehnsüchte und Vorstellungen von Widerstand und Systemkritik auf den Jugendlichen. Doch geht es ihr als Einziger wohl wirklich um Davids Wohl, versucht sie, ihn in seiner Persönlichkeit und Autonomie zu stärken – was auch der Junge spürt, der die coole, kampfsporterprobte junge Frau vergöttert. Doch kann er ihr vertrauen, ihr seine Mitwirkung bei dem Überfall gestehen?
Intensives, feinfühliges Krimidrama
Die Drehbuchautoren Sönke Lars Neuwöhner und Martin Eigler haben ein intensives, feinfühliges Krimidrama geschrieben, das angenehm schlank daherkommt und nicht überladen ist. “Zerrissen” erzählt von Familienbanden und Vertrauen, am Rande auch von den Mängeln staatlicher Institutionen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger: Selten genug, dass ein TV-Krimi sich auf lediglich zwei, drei Themen konzentriert.
Dieser Fokus tut der Story gut, die stimmig aus den Figuren, Bildern und Dialogen entwickelt wird und nur hie und da kleine dramaturgische Ungereimtheiten aufzuweisen hat (die nicht weiter ins Gewicht fallen). Auch inszenatorisch und optisch ist der Film, der statt auf laute, äußere Action recht wirkungsvoll auf eher leise Töne und düster-innerliche, braun-blau-grün gehaltene Bildwelten setzt, gelungen. Nah dran an seiner zentralen Figur bleibt der Film, behält aber auch das zwischenmenschliche Netzwerk, das diese umgibt, stets im Blick. Die Charaktere überzeugen und schillern nuancenreich – ausgenommen vielleicht der Bösewicht-Cousin Mikel, der vor allem aggressiv ist.
Stimmige und vielschichtige Frauenfiguren
Stimmig und vielschichtig gezeichnet sind neben Aro auch die weiteren Frauenfiguren, Davids drogensüchtige, schwache Schwester Julia (Caroline Hellwig) sowie seine Oma (Maria Mägdefrau). Letztere bietet mit ihrem Häuschen gewissermaßen das letzte Refugium der noch in Freiheit verbliebenen Familienmitglieder. Ihre Enkelkinder verteidigt sie kompromisslos, auch wenn sie womöglich ahnt, dass sie von ihnen über deren illegale Aktivitäten belogen wird.
Getragen werden die Figuren von durchweg präzisen Schauspielleistungen; stellvertretend dafür sei der erst 16-jährige Louis Guillaume erwähnt – eine Idealbesetzung für die Figur des sensiblen, nach seinem Weg suchenden David. Doch auch die Kommissare, insbesondere Bootz, sind hier nachdenklich und selbstreflexiv unterwegs: Sie sind gleichfalls auf der Suche. Nach einem verantwortungsvollen Umgang mit dem jungen Zeugen David – und schon auch ein bisschen nach der Bestätigung, dass die Polizei eben letztlich doch zu den Guten gehört.
