Leo Gnatzy hat bereits auf vielen Bühnen getanzt. Bei “Zwischen Himmel und Erde” tanzt er in Kirchen. Sein Ziel: Die Kirche lebendiger machen. Dazu will er mehr Mut zu Körperlichkeit.
Elektronische Klänge füllen das Kirchenschiff. Drei Personen lehnen in grauer Kleidung an den alten, beigen Mauern der Apsis. Die Musik dröhnt, die drei Tänzer verfallen in schnelle, hektische Bewegungen. Mal sind sie synchron, mal tanzen sie einzeln, mal interagieren sie. Einer davon ist der 34-jährige Leo Gnatzy. Er ist ausgebildeter zeitgenössischer Tänzer.
Die Musik wird sanfter, “im Anfang schuf Gott Himmel und Erde”, hallt es durch die romanische Kölner Kirche Groß Sankt Martin. Viele Plätze sind besetzt. Zuschauer oder Gottesdienstteilnehmer? Leo Gnatzy zuckt mit den Achseln. “Wir feiern hier keine Liturgie, sondern wir machen Kunst”, sagt Gnatzy, der die Performance entwickelt hat. “Aber Kunst ist für mich persönlich in erster Linie auch immer eine Form der Kommunikation mit Gott”, überlegt er.
Der freundliche junge Mann im weiten T-Shirt tanzt regelmäßig in Kirchen – mal alleine, mal mit mehreren. Mal mit Choreografie, mal improvisiert. Er drückt seine Gedanken, Geschichten, Gefühle aus. Der “christliche Tänzer” möchte er aber nicht sein. “Man bekommt sehr schnell Stempel aufgedrückt. Ich bin in erster Linie Künstler. Mit dem Label ‘sakraler Tänzer’ oder so wäre ich nicht Teil einer professionellen Künstlerwelt, in der ich viele coole Projekte auf Bühnen machen kann.”
Auch sein Tanzen in Kirchen fasst er nicht gerne in Worte. “Die Leute haben schnell so ein Bild von 60-jährigen Frauen, die im Kreis tanzen, im Kopf”, sagt er und schmunzelt. Am ehesten spricht er von “Tanz im sakralen Raum”. Gnatzy: “Das ist das Vorsichtigste, ich will keine Leute verschrecken. Ich möchte Menschen einladen, die vielleicht mit Gott und Kirche gar nichts am Hut haben. Gerade Künstler sind oft sehr spirituelle Menschen, die das aber nie mit Gott oder Kirche in Verbindung bringen”.
In Groß Sankt Martin pulsiert der Beat. Die drei Tanzenden werden interessiert, von manchen auch etwas befremdet beobachtet. Leo Gnatzy springt, er fällt, er steht wieder auf. Sein Blick ist konzentriert. Ein Handstand. Er rennt durch die Kirche, barfuß, seine Fußsohlen sind schwarz. Mit seinen Bewegungen deutet er an, den Steinaltar zu verschieben.
Warum verbindet er Tanz und seinen Glauben? “Für mich ist der Glaube, die Beziehung zu Jesus ein Geschenk. Das ist so stark in mir drin seit meiner Kindheit, dass es auch in meiner Kunst drin ist”, sagt er. “Deshalb ist nicht meine ganze Kunst christlich oder sakral. Aber ich bringe mich als ganze Person ein, und damit kommt mein Glaube auch mit rein. Bei anderen sind es dann andere Eigenschaften.”
Leo Gnatzy wächst in einer katholischen Familie im Erzgebirge auf, einer Diaspora-Region. “Ich war und bin oft der Exot”, sagt er. Er besucht ein evangelisches Gymnasium und ist nach dem Abitur mit einer christlichen Theatergruppe in Europa unterwegs. Von Kindheit an will er Schauspieler werden. So studiert er zunächst szenische Künste und kommt darüber nach und nach zum Tanz. Mit 25 bewirbt er sich auf Tanz-Ausbildungen. “Viel zu alt dafür, dachte ich.” Als er mehrere Zusagen von renommierten Schulen bekommt, sagt er sich: “Dann soll es wohl so sein”. Es folgt ein Tanz-Studium in Köln und New York, aktuell studiert er noch Choreographie in Zürich.
“Ich bin sehr ökumenisch geprägt, aber katholisch bin ich, weil mir diese körperlichen Rituale wie sich bekreuzigen, sich hinknien oder Prozessionen etwas bedeuten.” Auch wenn es eine strukturierte Form ist, “wenn ich meinen ganzen Körper einbringe, zum Beispiel beim Handauflegen bei einem Segen, dann erlebe ich das viel tiefer, als wenn ich nur spreche oder zuhöre”. Er selbst könne körperlich Dinge ausdrücken, die er nicht unbedingt verstehe – so sei ein Tanz manchmal auch Gebet oder eine Suche, die er nicht in klassische Gebetsworte fassen könnte.
In der Kirche ist Gnatzys Körper weiter im Einklang mit den Klängen der DJane – mal Meeresrauschen, mal Gitarrenklänge live, mal Electro-Beats wie in einer großstädtischen Rooftop-Bar. Er macht mal wütende, mal puppenhafte Bewegungen; zieht seine Mittänzerin über den Boden, wird gezogen. Er kauert klein, zitternd und schutzlos in der großen Kirche, blickt nach oben; er strahlt mit weiten Armen und muskulösem Kreuz Energie aus.
Gehört Tanz in die Kirche? Der blonde junge Mann mit Bart und Ohrring nennt es seine persönliche Mission, mehr Körperlichkeit in den sakralen Raum zu bringen. “Der christliche Glaube hat im Zentrum einen Leib – in jeder Kirche hängt ein nackter Körper. Aber wenn wir unseren ganzen Körper in den Raum bringen, wird das traditionell oft verteufelt.” Inzwischen sei das zum Glück ein bisschen anders. “Das Körperliche macht was mit den Menschen, es ist ansteckend. Ich finde es total cool, wenn Leute sich mitbewegen.”
In der Kölner Kirche harmonieren die drei Tanzenden. Treibende Sounds bringen die drei dazu, ein wenig außer Atem zu sein. Sie bewegen sich schnell, kraftvoll. Wirken ineinander verknotet vor dem Altar. Lassen sich ineinander fallen, halten sich gegenseitig. Die Musik geht in Vogelgezwitscher über, die Zuschauenden sind gebannt, den teils skeptischen Blicken sind ergriffene gewichen. Die drei Tänzer verlassen die Kirche durchs Portal, Stille. “Das war total intensiv”, sagt eine Dame. “Die haben sich ja völlig verausgabt”, eine andere. Leo Gnatzy steht nach dem Auftritt verschwitzt vorne, er wirkt beseelt.
Am Anfang sei er skeptisch gewesen, wie seine Vorhaben aufgenommen werden. Eine unberechtigte Sorge, wie er nun weiß, einige Jahre später. “Wir brauchen mehr Lebendigkeit in der Kirche”, sagt Leo Gnatzy. Ab und an gibt er Workshops, bei denen er andere Menschen anstecken will, sich ohne Form und Norm zu bewegen. Ob in der Kirche oder bei Partys – “sich einfach zur Musik gehen lassen, egal, was andere denken”. Er nennt das: “aus der Seele heraus bewegen”.