Psychiatrische „Zwischenanstalten“ haben im Nationalsozialismus als Einrichtungen zwischen den psychiatrischen Ursprungsanstalten und den Tötungsanstalten gedient. Eine wissenschaftliche Tagung in Marburg befasse sich am 14. und 15. September mit dem Thema, sagte der Marburger Historiker Steffen Dörre am Mittwoch dem Evangelischen Pressedienst (epd). „In der Öffentlichkeit sind die sogenannten Zwischenanstalten bisher relativ unbekannt.“
Im Rahmen der „Aktion T4“ ermordeten die Nationalsozialisten in Deutschland zwischen 1940 und 1941 rund 70.000 Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen. Hierfür richteten sie auf dem Gebiet des Deutschen Reiches sechs Tötungsanstalten ein. Um diese Mordanstalten herum sei „ein Netz“ von insgesamt 25 Zwischenanstalten gelegt worden, über das der Zufluss der Patientinnen und Patienten gesteuert wurde, berichtete der Historiker. Zur mittelhessischen Tötungsanstalt Hadamar habe es beispielsweise neun Zwischenanstalten gegeben.
Die Patienten verbrachten laut Dörre zwischen vier und sechs Wochen in den oft 1.000 Betten großen Einrichtungen, lebten unter „unsäglichen“ hygienischen Bedingungen und wurden schwer vernachlässigt. „Nach und nach“ seien sie mit Bussen in die Tötungsanstalten gefahren und dort vergast worden.
Ende August 1941 hätten die Nationalsozialisten die „Aktion T4“ eingestellt, die Mordaktionen jedoch im Sommer 1942 wieder aufgenommen, erklärte der Historiker. Patienten seien nun nicht mehr vergast worden, sondern man habe sie verhungern lassen: Zum Beispiel wurden Suppen so lange gekocht, bis sie keine Nährstoffe mehr enthielten. Tötungen erfolgten Dörre zufolge auch per Medikamentengaben. Insgesamt müsse man deshalb von etwa 300.000 getöteten Psychiatriepatienten bis Mai 1945 sprechen. In den ersten Nachkriegsjahren seien die Sterberaten wegen des schlechten Zustands der Patienten sogar nochmals hochgegangen.
Die Tagung „Zwischenanstalten – Ein besonderer Typus Anstalt im Nationalsozialismus?“ findet im Staatsarchiv Marburg statt und ist öffentlich. Veranstalter ist das Hessische Institut für Landesgeschichte.