Die Welt kann sich ein weiteres Ignorieren zahlreicher Krisen laut dem Ostafrika-Experten Shashwat Saraf nicht mehr leisten. „Die Kosten der Untätigkeit sind zu hoch“, sagte der Notfalldirektor der Hilfsorganisation IRC für die Region dem Evangelischen Pressedienst (epd). Konflikte wie im Sudan hätten das Potenzial, ganze Regionen zu destabilisieren, und könnten zum Tod von weiteren Hunderttausenden Menschen führen.
Der seit Mitte April anhaltende Machtkampf zwischen Armee und paramilitärischen RSF im Sudan ist Saraf zufolge mit 7,4 Millionen Flüchtlingen eine der schlimmsten Vertreibungskrisen weltweit. „Und es gibt keine Anzeichen für irgendeine Art von Lösung.“ Etwa die Hälfte der Bevölkerung, fast 25 Millionen Menschen, seien auf Hilfe zum Überleben angewiesen.
Aber auch in den Nachbarländern wie dem Tschad oder Südsudan, wo Hunderttausende Menschen aus dem Sudan Zuflucht gefunden haben, herrsche große Not. „Die Hilfe, die für die dortige Bevölkerung gedacht war, muss jetzt teilweise für die Flüchtlinge abgezweigt werden. Das kann zu Konflikten führen.“ Von den umgerechnet rund 924 Millionen Euro, um die die UN und ihre Partnerorganisationen für 2023 für die Versorgung der Flüchtlinge in den Nachbarländern gebeten hatten, gingen 38 Prozent ein. Die für die Nothilfe im Sudan benötigte Summe von umgerechnet 2,36 Milliarden Euro ist zu 42 Prozent gedeckt.
„Es ist besorgniserregend, dass die Öffentlichkeit anscheinend nur für jeweils eine Krise Kapazitäten hat“, bedauerte Saraf. „Deshalb spricht niemand über den Sudan“. Diese fehlende Aufmerksamkeit könne bei den Konfliktparteien zu einem Gefühl der Straflosigkeit führen. „Das heißt nicht, dass die Geberländer in der Lage wären, eine Feuerpause oder ein Friedensabkommen zu erzwingen.“ Aber sie könnten Druck ausüben, insbesondere auf Parteien außerhalb des Sudan, die in den Konflikt involviert sind, wie die Vereinigten Arabischen Emirate, Libyen oder Ägypten.
„Als die Sudan-Krise begann, dachten viele, der Konflikt könne höchstens ein, zwei Monate dauern, weil der einen oder anderen Seite die Mittel ausgehen“, sagte Saraf. „Aber neun Monate später sehen wir, dass sie doch an Ressourcen kommen und der Konflikt in einer Pattsituation anhält.“ Ländern wie den USA, Großbritannien oder Deutschland komme die Rolle zu, dafür zu sorgen, „dass wir nicht in sechs Monaten oder einem Jahr feststellen, nicht genug getan zu haben, weshalb weitere Hunderttausende Menschen tot und Millionen mehr auf der Flucht sind und die Lage vollends außer Kontrolle ist“.
Denn heute sei es der Sudan, morgen ein anderes Land. „Wenn wir nichts tun, verlieren wir als globale Gemeinschaft die Legitimation und die Glaubwürdigkeit, in der nächsten Krise Einfluss auszuüben, und werden erleben, dass niemand mehr vermitteln und Lösungen herbeiführen kann“, sagte Saraf. „Ich möchte glauben, dass wir noch nicht an diesem Punkt sind.“