Zum theologischen Studientag des Amts für missionarische Dienste (AmD) der westfälischen Landeskirche hatten sich 35 Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Haus landeskirchlicher Dienste (Dortmund) eingefunden. Propst Oliver Albrecht (Evangelische Kirche Hessen und Nassau) referierte zum Thema „Gemeinde liest Bibel“ und stellte anhand des Textes der Speisung der 5000 sechs Möglichkeiten vor, den Text zu entfalten.
So versucht die historisch-kritische Methode, die ursprünglichen Ereignisse zu rekonstruieren und nimmt auch die zeitgeschichtliche Situation des Autors in den Blick. Dieses Vorgehen erschließt den heutigen Lesern die ganz andere Kultur und Lebenswelt biblischer Texte, hat aber ihre Grenzen, wenn es um Konkretion auf das heutige Leben geht.
Letztere werde von der fundamentalistischen Auslegung eher in den Blick genommen, sagte Albrecht. Auch wenn das Wort fundamentalistisch in heutiger Zeit einen negativen Klang habe, sollte man beachten, dass die ursprüngliche Bedeutung nichts anderes bedeute, als dass die Verfechter dieser Methode von einem Fundament – nämlich Jesus Christus – herkommen. Problematisch ist aber, dass der Leser schon vor der Begegnung mit dem Text viel „weiß“ und man somit selten von einem Text irritiert werden kann. Dabei bleibe dann oft Überraschendes, was Aussagen und Handeln Gottes oder Jesu verdeutlichen, auf der Strecke.
An der evangelikalen Auslegung schätzt der Autor ein gewachsenes Zusammenspiel der ersten beiden Auslegungen. Historisch-kritische Ergebnisse fließen in die Bearbeitung der biblischen Texte mit ein. Bei der Auslegung werde der heutige Hörer oder Leser in die damalige Geschichte mit hineingenommen. Einen Nachteil bei vielen Predigern dieser Ausrichtung sieht der Referent darin, dass am Ende meist ein Aufruf zu einer Entscheidung (für Jesus) steht, gerade so, als wenn Gott zu wenig zugetraut wird. Oliver Albrecht: „Evangelikale Predigten wären genial, wenn sie zwei Minuten vorher aufhören würden.“
Die feministische Auslegung als vierte Methode hat in vielerlei Hinsicht neue Zugänge zum Verständnis biblischer Texte gebracht. So wurde die alte Frage „Was steht im Text?“ erweitert durch eine neue: „Was steht nicht im Text?“ So konnten ganz neue Erkenntnisse in die Auslegung einfließen, die durch patriarchale Strukturen verdeckt wurden. Ergänzungen und Umschreibungen sind in der Tat nötig (zum Beispiel die Erwähnung der Schwestern zusätzlich zu den Brüdern in Briefanreden, da immer auch Frauen in gemeindlicher Leitungsfunktion tätig waren). Doch sollte hier und da auch das „Original“ sichtbar bleiben.
Eine materialistische Auslegung sieht die Bibel als sozialkritische Stimme. So wird beispielsweise entdeckt, dass es bei dem Begriff Sünde nicht immer nur um persönliches Versagen geht, sondern auch die Verantwortung als Teil eines Systems in den Blick kommt (strukturelle Sünde). Bei dieser Lesart der Bibel bestehe jedoch die Gefahr, dass Gott sich als personales Gegenüber auflöst.
Durch die tiefenpsychologische Methode der Bibelauslegung – etwa ausgehend von C.G. Jungs Ansatz der Archetypen – können in heutigen Menschen Geheimnisse entdeckt werden, die aus biblischen Geschichten in unsere Zeit hineinreichen. Die Methode habe ihre Grenzen, wenn Gott „nur“ im Menschen selbst entdeckt wird.
Bei den skizzierten Methoden sei es wenig sinnvoll auszusortieren. Anstatt Zäune sollten vielmehr Brücken gebaut werden, die Auslegungsarten verbinden, um auf das zu hören, was von uns aus nicht allein erschlossen werden kann. Die Frage, die bei jeder Auslegung der Bibel gestellt werden sollte, ist: „Was führt mich zur Mitte, nämlich Gott.“ UK
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Studientag: Gemeinde liest Bibel
