Um Kinder stärker vor Missbrauch zu schützen, ist nach Ansicht der bundesweiten Aufarbeitungskommission eine stärkere Sensibilisierung von Jugendämtern notwendig. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen bräuchten etwa eine bessere Ausbildung zum Kinderschutz, dies sei heute leider oft nicht der Fall, erklärte die Soziologin Barbara Kavemann, die der Aufarbeitungskommission angehört, am Dienstag in Berlin. Sie äußerte sich bei der Vorstellung eine Fallstudie zum Thema “Sexueller Kindesmissbrauch und die Arbeit der Jugendämter”.
Ein wichtiges Ergebnis der Studie ist es demnach, dass in vielen Fällen Missbrauch hätte verhindert werden können, wenn Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Jugendämtern Signale von Betroffenen oder andere Hinweise beachtet hätten. Die Wissenschaftler untersuchten nach eigenen Angabe 69 Fälle von Betroffenen aus den vergangenen sieben Jahrzehnten, die in ihrer Kindheit Opfer von Missbrauch geworden seien und in Kontakt zu Jugendämtern gestanden hätten. Hintergrund war auch der Skandal um Kindesmissbrauch in Lügde, der 2019 publik wurde. In dem Ort in Nordrhein-Westfalen hatten jahrelang Männer auf einem Campingplatz Kinder missbraucht.
Kavemann erklärte weiter, die Arbeit von Jugendämtern müsse etwa in Sozialen Medien stärker sichtbar werden, damit Kinder und Jugendliche einfacher auf sie aufmerksam würden. Sie könnten sich bei sexualisierter Gewalt nicht selbst schützen. Dies zu tun und ihnen zu helfen, sei eine zentrale Aufgabe von Jugendämtern. Wenn das nicht gelinge, seien Betroffene zum Teil jahrelang der gewaltvollen Situation ausgesetzt mit weitreichenden Folgen für ihr Leben. Sie forderte zudem ein Recht der Betroffenen auf Akteneinsicht. Akten sollten daher nach Ablauf von Aufbewahrungsfristen einem Archiv angeboten, die Betroffenen über ihre Akteneinsichtsrechte informiert und bei der Sichtung und Auswertung des Akteninhalts begleitet werden.
Wissenschaftler Thomas Meysen plädierte als Co-Autor der Studie dafür, dass Jugendämter Kinder und Jugendliche beim Schutzhandeln und in den Hilfeverläufen stärker einbeziehen müssten. “Der Geheimhaltungsdruck, unter dem von sexueller Gewalt betroffene Kinder und Jugendliche stehen, ist regelmäßig besonders hoch”, so Meysen. Wenn sich Kinder und Jugendliche selbst an Jugendämter oder an andere Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe wendeten, bräuchten Fachkräfte ein Bewusstsein, dass es in diesen Momenten nichts Wichtigeres gebe, als sich ihnen anzunehmen und ihnen Angebote zu machen.