Kaum sind die Menschen geschaffen, kommt es schon zum ersten Konflikt: Wissensdurst, Freiheitsdrang und ein gewisser Trotz bringen Eva dazu, sich gegen das Gebot Gottes am Baum der Erkenntnis zu bedienen. Die Strafe folgt auf dem Fuß: Die Menschen werden aus dem Garten Eden vertrieben. Von nun an besteht die Geschichte der Menschheit aus Sicht der biblischen Erzähler in einer Aneinanderreihung von Streit, Neid, Lügen und Gewalt. Kain erschlägt Abel; Mord und Totschlag herrschen überall. Schließlich eskaliert die Brutalität derartig, dass Gott dem Ganzen mit der Sintflut ein Ende setzt.
Aber auch der Neuanfang missglückt: Beim Turmbau zu Babel verwirren sich die Sprachen; das Aushandeln von gewaltfreien Lösungen scheint unmöglich. Die Menschheit zerstreut sich über die ganze Welt.
Wer in die Bibel schaut, liest von Menschen, die nicht dazu in der Lage scheinen, einfachste Regeln des Zusammenlebens einzuhalten. Respekt für Unversehrtheit, Würde, Eigentum, das Leben anderer – ist das so schwer? Offensichtlich ja. Diese Unfähigkeit gehört in der Interpretation der Bibel zur Grundausstattung unserer Spezies. Und der Grund dafür wird ebenfalls genannt: Vom ersten Augenblick an lehnt der Mensch sich gegen die Weisungen auf, die Gott ihm für ein gutes gemeinschaftliches Leben gibt. Das kann nur schiefgehen. Und es geht schief.
Göttliche Gerechtigkeit ist mehr als nur Strafe
Also wagt Gott einen neuen Versuch: Er wählt einen Mann – Abraham – und schließt mit ihm einen Bund. Diesem Bund liegt mit der Thora ein komplexes Regelwerk zugrunde, das sowohl die Beziehung zu Gott als auch die Beziehung der Menschen untereinander gestalten soll. Im Mittelpunkt steht der Anspruch, den Gott auf sein Volk erhebt: Ich bin euer Gott, und ihr seid mein Volk. Wer die Regeln der Thora befolgt, erkennt damit Gottes Anspruch an; wer sie missachtet, missachtet Gott.
Führt das nun dazu, dass es im Volk Israel weniger Streit und Gewalt gibt? Kaum, wenn man den biblischen Autoren Glauben schenkt. Weiterhin folgt ein Konflikt auf den nächsten: Jakob überwirft sich mit Esau, seine Söhne wiederum verschwören sich aus Eifersucht gegen ihren Bruder Josef. Immerhin gelingt es in beiden Fällen, einen Interessensausgleich und damit eine Versöhnung herbeizuführen.
Andere Kämpfe gehen weniger glücklich aus: Die Bücher der Richter und Könige erzählen davon, wie skrupellos eigene Begierden nach Besitz und Macht durchgesetzt werden, und koste es auch Menschenleben – man denke nur an die Geschichte, wie David den Mann der von ihm begehrten Batseba in den sicheren Tod schickt.
Göttliche Gerechtigkeit trifft Barmherzigkeit
Solche Verstöße gegen das Gesetz bleiben nicht ohne Folgen. Gott beharrt auf seinem Recht und straft die, die seine Gebote übertreten – so interpretieren es die biblischen Geschichtsschreiber. Könige werden abgesetzt und finden ein schreckliches Ende, wenn sie sich gegen Gott auflehnen; das ganze Volk muss wegen ständigen Ungehorsams ins Exil nach Babylon ziehen.
Aber das ist nur die eine Seite der göttlichen Gerechtigkeit. Die andere heißt Barmherzigkeit. Auch diese Erfahrung wird in der Bibel immer wieder beschrieben: Selbst dann, wenn Menschen gegen alle Weisungen verstoßen haben, können sie noch auf Gottes Vergebung hoffen. Diese Seite Gottes macht Jesus besonders stark: Es ist das Bild des liebenden Vaters, der den verlorenen Sohn mit offenen Armen aufnimmt.
Gleichzeitig ist diese Haltung Gottes ein Vorbild für den menschlichen Umgang mit Konflikten: Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat, schreibt Paulus. Auf dieser Basis sind Nächstenliebe, ja, sogar Feindesliebe die biblischen Rezepte für einen konstruktiven Umgang mit Konflikten.