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Stille Zeit mit Wumms: Weihnachtsschützen schießen fürs Christkind

Stade Zeit oder Stille Nacht – solche weihnachtlichen Grundregeln gelten nicht in Berchtesgaden. Die Weihnachtsschützen sorgen für eine krachende Adventszeit. Erst an Heiligabend wird es still.

Am 17. Dezember um Punkt 15 Uhr ist es vorbei mit der vorweihnachtlichen Besinnlichkeit in Berchtesgaden
Am 17. Dezember um Punkt 15 Uhr ist es vorbei mit der vorweihnachtlichen Besinnlichkeit in BerchtesgadenBergerlebnis Berchtesgaden

Am 17. Dezember um Punkt 15 Uhr ist es vorbei mit der vorweihnachtlichen Besinnlichkeit im Berchtesgadener Talkessel am Fuße des Watzmann. Die Weihnachtsschützen legen los, um das Christkind auf ihre Weise zu begrüßen. In Reih und Glied, allesamt in der vorgeschriebenen Tracht, stehen die Männer da und warten auf das Kommando ihres Schützenmeisters. „Fertig! Auf!“, schreit der. Sein „Feuer!“-Ruf geht unter in einem lauten Böllerschuss-Salven-„Bummm“. Im Hintergrund läuten die Kirchenglocken.

15 Minuten böllern die Weihnachtsschützen: vom 17. Dezember an jeden Tag um 15 Uhr bis Heiligabend. Am 24. schießen sie dann sogar eine halbe Stunde lang, bis die Christmette beginnt. Geschossen wird mit pistolenartig anmutenden Handböllern, den größeren Schaftböllern oder vereinzelt sogar mit Kanonen. Der Schützenmeister gibt dabei, wie ein Dirigent im Orchester, den Takt vor: Salven, Einzelfeuer, Schnellfeuer, zum krönenden Abschluss gibt es meist drei Salven – also drei gemeinsame Schüsse. Die hallen dann nochmal besonders lange nach im Talkessel.

Weihnachtsschützen haben nicht nur „Krach-Charakter“

Das Weihnachtsschießen ist ein christlicher Brauch, wie Thomas Holm sagt, der Vorsitzende der Vereinigten Weihnachtsschützen des Berchtesgadener Landes. An den letzten sieben Adventstagen vor dem Heiligen Abend werden in der katholischen Kirche traditionell die sogenannten O-Antiphonen gebetet – „und wir schießen dazu“. Dazu kommen Schüsse bei der Wandlung – nach katholischer Auffassung wird während der Abendmahlsfeier Brot und Wein in Leib und Blut Jesu Christi verwandelt. Die Schützen böllern dazu – dreimal beim Wein und dreimal beim Brot. Die Weihnachtsschützen hätten also nicht nur „Krach-Charakter“, sondern auch einen geistlichen Aspekt, sagt der katholische Pfarrer Thomas Frauenlob.

Dahinter stecke einiges an logistischem Aufwand, erzählt er. Zur Wandlung läuten traditionell die Glocken – früher das Signal für die Weihnachtsschützen zu schießen. Heute schreibe jemand aus der Kirche eine WhatsApp-Nachricht, wenn die Wandlung losgehe. Er warte gern auch ein bisschen ab, bis die Weihnachtsschützen an ihren Schießständen loslegten oder fertig seien, sagt Frauenlob. Er finde den Brauch toll. Weihnachten ohne die Weihnachtsschützen – das könne er sich inzwischen gar nicht mehr vorstellen, die gehörten einfach dazu.

Weihnachtsschützen sind immaterielles Kulturerbe

Auch die evangelische Kirche beteiligt sich an dem Brauch und lässt um 15 Uhr ihre Glocken läuten. Es sei nicht mehr selbstverständlich, dass Weihnachten, Ostern und andere Feste als Ortsgemeinschaft begangen würden, sagt Pfarrer Josef Höglauer. Die Weihnachtsschützen leisteten daher einen wichtigen Beitrag zum gemeinschaftlichen Leben. Seit 2018 sind sie immaterielles Kulturerbe in Bayern.

Die Weihnachtsschützen legen los, um das Christkind auf ihre Weise zu begrüßen
Die Weihnachtsschützen legen los, um das Christkind auf ihre Weise zu begrüßenBildarchiv Bayerischer Landtag/R

17 Weihnachtsschützen-Vereine gibt es im Raum Berchtesgaden mit rund 3.300 Mitgliedern. Die kleineren Vereine hätten um die 50 bis 80 Mitglieder, die großen, wie etwa Schönau am Königsee, sogar um die 400. Nachwuchssorgen hätten die Weihnachtsschützen also keine, sagt Schützenmeister Holm. Der Brauch sei 1666 erstmals urkundlich erwähnt worden, dürfte aber deutlich älter sein. Zurück gehe er wohl auf die zwölf Raunächte, die je nach Region am 21. oder 25. Dezember beginnen. In diesen Nächten sind laut Volksglauben böse Geister unterwegs, die bekämpft werden müssen – in Berchtesgaden eben durch lautes Schießen.

Von den in Deutschland ansonsten verbreiteten Böllerschützen unterscheide man sich übrigens, sagt Holm. Nur im Berchtesgadener Talkessel gebe es Weihnachtsschützen, und die müssten sich laut Vereinssatzung auch so nennen. Geschossen werde auch zu anderen kirchlichen Festen oder zu Vereinsjubiläen – aber: ausschließlich in Berchtesgaden.

Zwiespältige Rolle während der NS-Zeit

Im März 1933 machten die Vereinigten Weihnachtsschützen Adolf Hitler zum Ehrenmitglied. Vermutlich habe Hitlers Wohnort und späterer zweiter Regierungssitz am Obersalzberg ebenso eine Rolle gespielt wie Opportunismus, sagt Mathias Irlinger, Bildungsreferent beim Institut für Zeitgeschichte in der Dokumentation Obersalzberg. Hitler selbst habe sich dadurch womöglich ein bodenständiges und volksnahes Image erhofft.

Die Weihnachtsschützen hätten dem NS-Regime in der Anfangszeit keineswegs ablehnend gegenübergestanden, erklärt Irlinger. Doch als die christlichen Wurzeln des Brauches beim NS-Regime aneckten, habe es Probleme gegeben. Dass die Weihnachtsschützen zu kirchlichen Festen, die den Nationalsozialisten ohnehin ein Dorn im Auge waren, nicht mehr schießen sollten, ließen sie sich nicht gefallen. Sie schossen trotz Verboten einfach weiter, teilweise sogar aus Verstecken.

Heute kämen im Schnitt jedes Jahr 60 bis 80 Männer neu zu den Weihnachtsschützen dazu, sagt Thomas Holm. Nur Frauen hätten sich in all der Zeit seines Wissens nach noch nie gemeldet. „Theoretisch wäre es möglich.“ Sie müssten halt die vorgeschriebene Tracht tragen – „aber ausprobiert hat es noch keine“.