Ein kirchliches Start-up probiert in Marburg neue Formen von Kirche aus. „Wir haben keinen Pfarrer und keine Pfarrerin, keine Leitung und keine Hierarchien. Alle dürfen mitmachen’“, sagte der Mit-Initiator und Rektor der CVJM-Hochschule in Kassel, Tobias Faix, dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Wir sind ein soziales Start-up.“ „UND Marburg“ besteht seit 2020 und ist ein gemeinnütziger Verein innerhalb des Evangelischen Kirchenkreises Marburg.
Alle 14 Tage findet ein Gottesdienst im Marburger Lokschuppen statt – einem ehemals verfallenen Bahn-Gebäude, das zu einem modernen Veranstaltungszentrum transformiert wurde. „Am Beginn steht immer ein Kaffeetrinken.“ Im Gottesdienst gebe es eine „Reaktionszeit“, in der die Besucher auf die Predigt reagieren können. Das Predigtteam besteht aus 14 Leuten, die aber insgesamt nur zwei Mal im Jahr predigen dürfen. „Wir verfolgen einen machtsensiblen Ansatz“, erläuterte Faix. Die Balance zwischen Männern und Frauen, jungen und älteren Predigenden sei austariert. Der Gottesdienst endet mit einem gemeinsamen Essen. An den anderen Sonntagen treffen sich kleine Gruppen an unterschiedlichen Orten in der Stadt: im Café, auf Spielplätzen oder in Häusern, um zu basteln, zu lesen oder zu reden.
„Wichtigstes Kommunikationsmittel ist eine App“, berichtete der Theologe. Verschiedene Angebote und Kleingruppen hätten sich gebildet – ein Leseklub, sozial-diakonische Angebote für Schüler mit Lernschwierigkeiten oder zur Unterstützung der Wärmestube für Obdachlose. Eine Gruppe habe eine „Sonntagsbegrüßungsfeier“, angelehnt an das Judentum, ins Leben gerufen. Jeder Interessierte könne etwas beitragen. „Die Idee ist, dass Kirche kein Versorgerangebot macht, sondern die Gemeinde selbst mündig wird.“ Zu den Teilnehmenden gehörten viele queere Menschen, Familien mit jungen Kindern sowie Menschen mit Behinderungen.
In der App seien 1.000 Leute registriert. Zu den Gottesdiensten im Lokschuppen kämen regelmäßig rund 250 Teilnehmende, durchschnittlich 800 Menschen schauten sich die gestreamte Version im Internet an. „Nicht alles funktioniert“, räumte Faix ein. Das Angebot werde überwiegend von Ehrenamtlichen getragen, die von vier hauptamtlich Beschäftigten „supported“ würden. „Viele beginnen enthusiastisch und merken, dass es zu viel wird. Wir müssen noch lernen, Ehrenamtliche verantwortungsvoll zu begleiten.“
2025 stehe für „UND Marburg“ unter dem Jahresthema „Wo ist unser Platz in Marburg?“ Man wolle sich vermehrt sozial in der Stadt einbringen, für die Demokratie eintreten und eventuell einen festen räumlichen Ort suchen. Am 26. und 27. Oktober veranstaltet „UND Marburg“ zum zweiten Mal das kreative Fest „UNDspiration“, unter anderem mit dem Songwriter Samuel Harfst und dem Schauspieler Samuel Koch.