Den Haag (epd). Karim Khan hat auf allen Seiten im Gerichtssaal gestanden. In seiner fast 30-jährigen Karriere war er Ankläger, Strafverteidiger und Opfer-Anwalt. Als junger Ankläger arbeitete er an den ersten Fällen zum Völkermord in Ruanda mit, vertrat später mehrere Staats- und Regierungschefs in Kriegsverbrecherprozessen und gab Zehntausenden Opfern von schweren Menschenrechtsverbrechen vor Gericht eine Stimme. Wegen seiner Erfahrung und seiner Erfolge gilt der 51-Jährige als Staranwalt der Menschenrechts- und Völkerrechtswelt.
Nun tritt Khan eine der angesehensten und wichtigsten, aber auch eine der wohl schwierigsten Tätigkeiten der Weltpolitik an: Am 16. Juni wird er Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs. Als Leiter der Anklagebehörde in Den Haag entscheidet er dann darüber, in welchen Konfliktgebieten Ermittlungen stattfinden und gegen welche hochrangigen Verdächtigen Anklage erhoben wird. Der Strafgerichtshof
wurde 2002 eröffnet und kann Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das Verbrechen der Aggression verfolgen. Khan wird der dritte Chefankläger. Bisher war er Chef der UN-Ermittlungsmission für die Verbrechen des «Islamischen Staats» im Irak.
Der kräftig gebaute Brite mit dem kahlen Kopf und dem charakteristischen Henriquatre – dem Königsbart um seinen Mund – hat nahezu seine ganze Karriere an großen, internationalen Fällen mitgearbeitet. Nach seinem Jura-Studium in London war er für die britische Staatsanwaltschaft tätig, ging in seiner Freizeit jedoch bereits seiner Leidenschaft für die Menschenrechte nach und beschäftigte sich mit einer verfolgten muslimischen Gemeinschaft in Pakistan, dem Herkunftsland seiner Familie.
Als er kurz vor der Jahrtausendwende eine Stelle an den frisch gegründeten Tribunalen für das frühere Jugoslawien und Ruanda bekam, zog er zum ersten Mal ins niederländische Den Haag. Für die Anklagebehörde arbeitete er dort unter anderem am historischen Akayesu-Fall mit, der ersten Verurteilung des Tribunals wegen Völkermords in Ruanda.
In den darauffolgenden Jahren wechselte Khan die Seite und wurde zu einem der bekanntesten internationalen Strafverteidiger. Seit 2011 trägt er den von der britischen Königin an Juristen verliehen Ehrentitel Queen's Counsel (QC). Er vertrat unter anderen den früheren Machthaber von Liberia, Charles Taylor, den Sohn des früheren libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi und einen stellvertretenden Ministerpräsidenten des Kosovo. Als Anwalt des stellvertretenden Präsidenten von Kenia, William Ruto, übte er harsche Kritik an der Anklagebehörde des Strafgerichtshofs. Khan und sein Team überzeugten die Richter, dass die Beweise gegen Ruto zu schwach waren, der Fall wurde eingestellt – wohl einer seiner größten
Erfolge als Verteidiger.
Als Chefankläger führt er für die kommenden neun Jahre nun genau diese durch Rückschläge und Finanzprobleme erschöpfte Behörde mit knapp 400 Mitarbeitern an. Kritiker halten den Seitenwechsel für zweifelhaft, weil Khan Personen vertrat, die schwerste Verbrechen begangen haben sollen. Unterstützer sehen genau in dieser Erfahrung eine Stärke, die ihm als Ankläger helfen könne. Khan selbst erklärte, in vielen Commonwealth-Ländern sei es nicht unüblich, im Laufe der Karriere für beide Seiten aufzutreten. Dies helfe, geerdet zu bleiben und verhindere, die Verteidiger als Ausgeburt des Teufels oder die Arbeit der Anklage als göttliche Aufgabe zu betrachten.
Von seiner Vorgängerin, der Gambierin Fatou Bensouda, erbt Khan unter anderem ein Ermittlungsverfahren in Afghanistan, das die US-Regierung gegen das Gericht aufgebracht hat. Auch in den Verfahren wegen Verbrechen in den Palästinensischen Gebieten und Myanmar muss sich Khan mit weltpolitischen Krisenherden beschäftigen. War Bensouda zurückhaltend, gilt Khan als eher angriffslustig. Er ist wortgewandt, charismatisch und fair – ein menschlicher Jurist mit einem Gespür für
Politik, so heißt es in Den Haag, wie ihn der Strafgerichtshof braucht.