Vom Gesang der Engel, der schon in der Bibel erwähnt wird, bis zu zeitgenössischen Rock- und Popsongs spannt sich ein musikalischer Bogen über unsere Weihnachtskultur. Über den Dächern des Weihnachtsmarktes muss einfach „Jingle Bells“ dudeln. Krippenspiel ohne „O du fröhliche“? Unmöglich. Und der Heilige Abend ist in vielen Familien das letzte Reservat gemeinsamen Singens.
Manche Lieder glühen nur für ein, zwei Generationen am Weihnachtshimmel und verschwinden wieder; manche verblassen langsam nach vielen Jahrhunderten, und einige strahlen als unveränderliche Fixsterne, denen kein Geschmackswandel und schon gar keine Nachfrage nach Sinn und Vernunft etwas anhaben kann.
Mit diesem Lied „Joseph, lieber Joseph mein“ zum Beispiel weht ein Hauch Spätmittelalter durch die weihnachtlichen Wohnstuben. Die Melodie taucht mit dem lateinischen Text „Resonet in laudibus“ schon 1380 im Moosburger Graduale auf und schaffte es im 16. Jahrhundert, in beiden Konfessionskulturen in Deutschland heimisch zu werden – sowohl in den Gesangbüchern als auch in der Chormusik. Orlando di Lasso verarbeitete sie auf katholischer Seite, Johann Walter auf evangelischer.
Wiege vieler Lieder: das bürgerliche Wohnzimmer
Den deutschen Text hat erstmals um das Jahr 1400 der als „Mönch von Salzburg“ bekannte Liederdichter und Komponist notiert. Bei ihm heißt es noch „Joseph, liber nefe min / hilf mir wigen min kindelin / das got musse din loner sin / in himmelrich, der meide kint Maria“.
Auch das Lied „Nun singet und seid froh“ hat solche archaischen Wurzeln. Schon 1440 in einer Fassung des Peter von Dresden sang man das Lied so, wie es noch heute in vielen Liederbüchern vermerkt ist: „In dulci jubilo / Nun singet und seid froh! / Alle unsre Wonne / Liegt in praesepio / Sie leuchtet wie die Sonne / Matris in gremio / Alpha es et O / Alpha es et O.“ Seine Unverwüstlichkeit hat das Lied unter anderem dadurch unter Beweis gestellt, dass es Mike Oldfied und die „Toten Hosen“ in die Popkultur eingespeist haben.
Die Wiege der meisten bis heute populären Weihnachtslieder steht im bürgerlichen Wohnzimmer des 19. Jahrhunderts. Man war christlich, nun ja, aber auch aufgeklärt und romantisch, und vor allem häuslich und familiär.
Der evangelische Pfarrer Wilhelm Hey aus Thüringen etwa schrieb den Text zu dem Weihnachtslied „Alle Jahre wieder“ genau in diesem Sinne: Weihnachts-Schlüsselworte wie „Jesus“, „Geburt“ oder „Bethlehem“ kommen nicht vor, und doch erfreuten sich schon Generationen von Deutschen an der heimeligen Geborgenheit, die das Lied ausstrahlt. So muss sich Weihnachten anfühlen.
Leise rieselt der Schnee, Am Weihnachtsbaum die Lichter brennen, Kling Glöckchen klingelingeling: Den theologischen Nukleus, nämlich Bezüge zur biblischen Geschichte von der Geburt Christi, sucht man in diesen Liedern häufig vergebens. Besonders weit weg von derlei Inhalten erweist sich eines der populärsten Weihnachtslieder, nämlich „Morgen kommt der Weihnachtsmann“. Die Melodie (harmonisch übrigens eine Zwillingsschwester von „Alle Vöglein sind schon da“) entspricht dem frivolen französischen Salonlied „Ah, vous dirai-je, Maman!“. Der Text von Heinrich Hoffmann von Fallersleben spart nicht nur jegliche christlichen Weihnachtsbezüge aus, sondern verzichtete auch auf die Ersatzidylle einer still-verschneiten Winterlandschaft, die man immerhin noch als Chiffre für die Botschaft von Frieden und Versöhnung lesen konnte. Stattdessen heißt es: „Trommel, Pfeifen und Gewehr / Fahn´und Säbel und noch mehr / ja, ein ganzes Kriegesheer/ möcht´ich gerne haben“. Heute ist das Lied in einer entschärften Version von Hilger Schallehn verbreitet, die stattdessen „bunte Lichter, Silberzier / Kind mit Krippe, Schaf und Stier“ herbeiwünscht.
Hoffmanns Text sagt mehr über die Gesinnung des Autors und seiner Zeit aus als über die Weihnachtsbotschaft. Im patriarchalischen deutschen Vormärz taugte der Weihnachtsmann als bessere Identifikationsfigur als das zarte Christkind. Und unterm vaterländischen Weihnachtsmann, die napoleonischen Kriege noch im Gedächtnis, war Kriegsspielzeug nichts Abwegiges.
Eine Sonderrolle im Weihnachtsliederkanon spielt „Stille Nacht“:Es ist das einzige Lied mit eigener Forschungsgesellschaft, Museen, Denkmälern und Publikationen.
Die Entstehungsgeschichte des Liedes wird gern als Weihnachtsmärchen erzählt. Das klingt dann so: Es war einmal vor langer Zeit, da hatten Mäuslein die Orgel in Oberndorf am Inn unspielbar gemacht, was dem Organisten aber erst am Heiligen Abend auffiel. In höchster Not taten sich Pfarrer und Organist zusammen und schufen binnen Stunden ein schlichtes Weihnachtslied, das dann in der heiligen Nacht mit Gitarrenbegleitung gesungen wurde. Das Lied war gewissermaßen, wie die Schriftstellerin Hertha Pauli in einem Jugendbuch formulierte, „vom Himmel“ gekommen.
„Stille Nacht“ mit eigener Forschungsgesellschaft
Die Wahrheit aber ist anders. Tatsächlich hatte der Oberndorfer Hilfspriester Joseph Mohr das Gedicht schon zwei Jahre zuvor in Mariapfarr (Lungau) geschrieben, möglicherweise als Reaktion auf den Friedensschluss zwischen Bayern und Österreich von 1816. Mohr überreichte sein Gedicht tatsächlich erst am Heiligen Abend anno 1818 seinem Oberndorfer Organisten Franz Xaver Gruber, mit der Bitte, eine Melodie dazu zu schreiben. Über den Grund für dieses Überfallkommando kann man nur spekulieren – von einer kaputten Orgel ist jedenfalls nirgends die Rede. Mohr war eben, sagen wir, spontan.
Über eine Volksmusikgruppe aus dem Zillertal verbreitete sich das Lied binnen weniger Jahre in Deutschland, Europa und den USA. Weil es sich jeglicher Marienverehrung enthält, war es auch für den protestantischen Norden akzeptabel. Der Rest ist Geschichte.