Lönsstraße 16 mitten in Castrop-Rauxel – auf den ersten Blick eine Innenstadtadresse wie jede andere. Doch der Laden, der unter dieser Anschrift firmiert, ist nicht wie jeder andere: „Knastladen“ heißt er, und der Name ist Programm. Die Produkte stammen aus mehr als 20 Justizvollzugsanstalten (JVA) des Landes Nordrhein-Westfalen. Gefertigt haben sie Häftlinge wie Toni Most (Name geändert), der wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung einsitzt.
„Wir stellen viele Sachen her, die nicht nur für die JVA gedacht sind, sondern wir verkaufen die auch über unseren Knastladen“, erzählt Most dem Evangelischen Pressedienst (epd) und zählt auf: Tische und Tischplatten aus massivem Holz, Kerzenhalter in verschiedenen Formen und Größen. „Zurzeit stellen wir einen Futtertrog für Wildschweine her.“ Das Angebot sei sehr umfangreich. „Da wird’s einem nicht langweilig“, sagt Most, der in einer Gefängnisschreinerei arbeitet.
Vor gut zwei Jahren eröffnete der Knastladen in der Castroper Innenstadt. Nils Radtke, Sprecher der nordrhein-westfälischen Vollzugsdirektion, sagt dem epd: „Die Möglichkeit, dort Artikel anzuschauen und anzufassen, wird gerne angenommen.“ Es gebe dort „viele schöne, selbst gefertigte und praktische Artikel wie beispielsweise Schmuck, Handtaschen, Vogelhäuser und Nistkästen“.
Der Gefängnisladen in Castrop-Rauxel ist bundesweit eine Ausnahmeerscheinung. Das stationäre Geschäft ergänzt den Onlinehandel unter knastladen.de, den es bereits seit mehr als einem Jahrzehnt gibt. Und es existieren noch eine ganze Reihe anderer Online-Shops mit Waren, die Häftlinge herstellen: Unter jailers.de, haftsache.de, gitterladen.de, santa-fu.de oder unter jva-shop.de können Kundinnen und Kunden fündig werden. Vorreiter bei im Knast gefertigten schönen und nützlichen Dingen war Niedersachsen, wo laut Landesjustizministerium bereits im Jahr 2001 der bundesweit erste Online-JVA-Shop eingerichtet wurde.
Auf santa-fu.de etwa, benannt nach der legendären Hamburger JVA im Stadtteil Fuhlsbüttel, zählt zu den Topsellern „Alaarm!“, laut Beschreibung ein „wildes Ausbrecherspiel, von Gefangenen selbst entwickelt und auf den Zellen gespielt“ oder „KnastLandFluss“, außerdem ein Kochbuch „Huhn in Handschellen“. Auch Flaschenöffner in Handschellenform, zu beziehen über jva-shop.de, stellen einen Bezug zum Ort der Fertigung her.
Manche JVA verfügt über einen eigenen Verkaufsraum auf dem Anstaltsgelände, andere veräußern ihre Produkte auf Adventsbasaren oder Weihnachtsmärkten. In Nordrhein-Westfalen sind die Sachen auch auf der Messe „Creativa“ in Dortmund zu haben. Neben wiederkehrenden Waren wie jahreszeitlichen Deko-Artikeln oder Grills und Grillzubehör gibt es auch regionale Besonderheiten: im Ruhrgebiet ein Zechen-Briefständer oder eine Edelstahllore, in Bayern ein Brezenschneider, in Sachsen typisch erzgebirgische Schwibbögen und Räucherfiguren.
Das Geld aus dem Verkauf der Waren fließt oft in den Landeshaushalt. Manche Landesregierung gibt einen Teil der Einnahmen an die Opfer-Hilfsorganisation Weißer Ring oder für soziale Zwecke weiter.
Das saarländische Justizministerium erklärt: „Durch die Übernahme von Arbeit können die Gefangenen Geld verdienen“, das etwa für Tabak, Kaffee, zur Schuldentilgung oder für die Telefon- und TV-Rechnung verwendet werden könne. Die Motivation zur Arbeit und damit zum Gelderwerb sei hoch, heißt es weiter.
Im Mittelpunkt steht überall die Resozialisierung, also die Vorbereitung auf die Entlassung aus der Haft und eine hoffentlich straffreie Zukunft. Der Referent für Straffälligenhilfe bei der Diakonie Deutschland, Lars Schäfer, sieht für inhaftierte Menschen „viele gute Gründe, arbeiten zu wollen: Arbeit bedeutet Abwechslung und hilft somit gegen Langeweile, sie strukturiert den Tag, fördert die soziale Teilhabe in Haft, hilft beim Erwerb unterschiedlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten, und bringt einen – wenn auch sehr geringen – Verdienst mit sich.“
Der Stundenlohn eines Gefangenen liegt nach Angaben der Bremer Justizverwaltung zwischen 1,62 und 2,70 Euro. Für den katholischen Gefängnisseelsorger Michael King verstößt die geringe Entlohnung „gegen das Resozialisierungsgebot“.